Artikelauswahl

Alle ausgewählten Artikel stammen aus der seit 2008 erscheinenden Neuausgabe der Zeitschrift der Großen Loge Royal York zur Freundschaft in Berlin:  „AM RAUHEN STEIN“

Die sachliche und rechtliche Verantwortung für die namentlich gezeichneten Beiträge liegt bei den Verfassern. Veröffentlichungen – auch auszugsweise – bedürfen der Genehmigung der GLRYzF.

__________________________________________________________________________________________

Ein freier Mann von gutem Ruf

Von Bruder M.N.

„Ein freier Mann von gutem Ruf“. Dies ist die zentrale und wichtige Eigenschaft die ein Mann haben muss, um an unsere Pforte klopfen zu dürfen und für die der Bürge gerade stehen muss. Denn wir sind der Überzeugung, dass nur derjenige ein Freimaurer zu werden vermag, der ein freier Mann von gutem Rufe ist.

Mehr lesen –

 

Toleranz im Denken der Gegenwart und die Praxis der Freimaurer
Von Bruder Christian Meier

Ich möchte das Thema meiner Zeichnung in drei Fragen aufbrechen:
Erstens: Wo ist dieses Thema im Arbeitsspektrum einer oder besser gesagt einer GLRYzF-Tochterloge verortet?
Zweitens: Was wird von wem in welchem Kontext gegenwärtig gedacht über Toleranz?
Drittens: Was ist oder was muß Praxis der Freimaurer beim Umgang mit Toleranz sein?

Mehr lesen –

 

Königliche Kunst als Gesamtkunstwerk der Lebenskunst

Von Bruder Kurt Ausfelder

Ich beschäftige mich heute mit Gedanken zur königlichen Kunst als Gesamtkunstwerk der Lebenskunst „Der Mensch wird am Du zum Ich.” Sagt Martin Buber („Das Dialogische Prinzip”)
Und weiter:
„Das ist der ewige Ursprung der Kunst, dass einem Menschen Gestalt gegenübertritt
und durch ihn Werk werden will.”
Beginnen möchte ich mit der Behauptung: Mit den Verstand versteht man die Freimaurerei nicht. Wohl aber mit dem Herzen. Das gilt auch für Die Kunst ganz allgemein.

Mehr lesen –

Freimaurerische Tugenden
Von Bruder Burkhard Birke

Für Aristoteles ist sie der Weg zur Glückseligkeit.
Frauen, die ihre Tugend bewahrten, waren Jungfrauen und galten als keusch. Tugend nannte Henry Miller die Summe der Dinge, die wir aus Trägheit, Feigheit oder Dummheit nicht getan haben – und deshalb wohl zum ewigen Unglück verdammt sind?

Treffend umschrieb damit der amerikanische Schriftsteller au jeden Fall eines:
Das menschliche Wesen und die Herausforderung, vor der ein jeder Freimaurer steht:

Die Trägheit, Feigheit und Dummheit zu überwinden.

Man könnte es auch die Arbeit am rauhen Stein nennen. Ist jedoch im Umkehrschluss derjenige, der nicht träge, feige und dumm ist, schon tugendhaft und ein guter Freimaurer?

Mehr lesen –

 

Kann es eine aufgeklärte Religion geben?

Von Bruder Hermann-F. Kramer

Das Thema scheint nur auf den ersten Blick vorrangig religiös. Es führt vielmehr mitten hinein in das Dilemma des modernen Menschen. Ich stelle den Lösungsversuch der humanitären Freimaurerei vor, die Metapher vom Großen Baumeister aller Welten.

Jahrtausende lang haben sich die Menschen durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgemeinschaft und dem in ihr verwurzelten Weltbild definiert. Und da dieses Weltbild auch die Reichweite und den Erfahrungsschatz beinhaltete, der in der jeweiligen Gemeinschaft verwahrt und überliefert wurde, war das Weltbild regelmäßig eingebettet in eine Legende von der Entstehung und Aufgabe gerade dieser Volksgemeinschaft, vom Verhältnis des Volkes zu seinen Nachbarn und von der Wichtigkeit der Aufgabe gerade dieses Volkes in der Welt und im gesamten Kosmos.

Mehr lesen –

 

Das freimaurerische Geheimnis

Von Bruder Peter W.

Was ist ein Geheimnis?
Wikipedia gibt zwei Anmerkungen dazu. Die erste lautet:

„Ein Geheimnis ist eine meist sensible Information, die einem oder mehreren Eigentümern zugeordnet ist. Es soll einer anderen Person bzw. Personengruppe, für die es von Interesse ist/sein könnte, nicht bekannt werden. Die entsprechende Information wird häufig absichtlich in einem kleinen Kreis Eingeweihter gehalten. Sie kann durch äußere Umstände auch vollkommen verlorengehen. Als Gegenbegriffe gelten Öffentlichkeit, Transparenz und Informationsfreiheit.“

Mehr lesen –


 

Ein freier Mann von gutem Ruf

Von Bruder M.N.

Im Ritual I bei der Aufnahme eines Suchenden wird dem Wachthabenden auf die Frage „Wer ist da?“ vom vorbereitenden Bruder geantwortet:
„Ein freier Mann von gutem Ruf“. Dies ist die zentrale und wichtige Eigenschaft die ein Mann haben muss, um an unsere Pforte klopfen zu dürfen und für die der Bürge gerade stehen muss. Denn wir sind der Überzeugung, dass nur derjenige ein Freimaurer zu werden vermag, der ein freier Mann von gutem Rufe ist.

Doch was genau ist ein freier Mann von gutem Ruf?

Um die Antwort auf diese Frage zu finden, musste ich zuallererst der Frage nachgehen „Was ist denn überhaupt Freiheit und was sind ihre Wesenszüge?“.
Bei dieser Frage spielen sich zunächst in unseren Köpfen die unterschiedlichsten Versuche ab, Freiheit zu definieren. Der Eine denkt beispielsweise gerade an den nächsten Urlaub, ein Anderer denkt an die Freiheit der Rede, der eigenen Meinung.
Eine genauere Betrachtung in Form des Versuches einer Begriffsbestimmung des Wortes Freiheit wird uns aufzeigen, dass es doch gar nicht so leicht ist, die Freiheit in ihrer vollen Tiefe zu ermessern. Und so wird auch die Freiheit ein Thema unserer Arbeit am rauhen Stein bleiben, solange wir leben.

Schon die Sumerer kannten im dritten Jahrtausend vor Christus die Bedeutung des Begriifs Freiheit. Sie galt als Gegensatz zu Knechtschaft und Fremdbestimmung, als Freiheit vor Willkür und Sklaverei. Hier liegt auch die Hauptbedeutung des lateinischen libertas, und des gotischen „Freihals“, aus dem sich das heutige deutsche Wort „Freiheit“ entwickelte. „Freihals“ war der Hals, der kein Joch tragen musste.“

John Locke postulierte Leben, Freiheit und Eigentum als unveräußerliche Rechte des Bürgers. Er erklärt den Naturzustand für den „Zustand vollkommener Freiheit, innerhalb der Grenzen des Naturgesetzes seine Handlungen zu lenken und über seinen Besitz und seine Person zu verfügen, wie es einem am besten scheint – ohne jemandes Erlaubnis einzuholen und ohne von dem Willen eines anderen abhängig zu sein.“

Nach dem kantschen Freiheitsbegriff ist Freiheit nur durch Vernunft möglich. Ohne Vernunft folgt der Mensch einem Tier gleich seinen Trieben. Kraft der Vernunft aber ist der Mensch in der Lage, das Gute zu erkennen und sein eigenes Verhalten dementsprechend pflichtgemäß auszurichten. Da nach Kant  nur der sich bewusst pflichtgemäß, also moralisch verhaltende Mensch frei ist, sind „freies Handeln“ und „moralisches Handeln“ bei Kant ebenso Synonyme wie der freie Wille und der gute Wille.
Und Rousseau fügt hinzu: „Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern das er nicht tun muss, was er nicht will.“

„Der freie Wille ist nur ein gutes Gefühl“, behauptet dagegen der Hirnforscher Wolf Singer. Es ist nur eine Illusion, die uns Menschen vorgaukelt, wir könnten uns frei entscheiden. Singer gerät durch seine pointierten und provokativen Stellungnahmen in Interviews aller Art, Vorträgen und populärwissenschaftlichen Essays immer wieder ins Zentrum öffentlicher Auseinandersetzungen. Besonders kontrovers erörtert werden seine Thesen zur Willensfreiheit. Singer lehnt die Rede von einem freien Willen ab. Dies brachte er 2004 öffentlich in einem FAZ-Artikel zum Ausdruck, dessen Untertitel er in der leicht abgewandelten Formulierung „Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören
von Freiheit zu sprechen“ zum Haupttitel des Wiederabdrucks eines umfangreichen wissenschaftlichen Fachbeitrags zu der Fachdiskussion „Hirn als Subjekt? (Teil I)“ in der Deutschen Zeitschrift für Philosophie machte.
Singer argumentiert, das naturwissenschaftliche Kausalmodell, nach dem die Welt als geschlossenes deterministischess Ganzes anzusehen ist, schließe Freiheit aus. Befürworter des Freiheitsbegriffš wenden allerdings ein, dass der Begriff der Willensfreiheit nur unter bestimmten Voraussetzungen im Gegensatz zum Determinismus stehe und dass diese Voraussetzungen keinesfalls akzeptiert werden müssten.
Singer fordert auch, dass die von ihm behauptete Nichtexistenz von Willensfreiheit Konsequenzen für unsere Konzeptionen von Schuld und Strafe haben müsse. Wenn naturwissenschaftlich gesehen niemand frei entscheiden könne, sei es nicht sinnvoll, Personen für ihr Tun verantwortlich zu machen.“

„Wie frei ist unser Wille dann eigentlich wirklich?“ oder anders gefragt: „Welchen Grad der Freiheit kann unser Wille eigentlich erreichen?“
„Aber dann könnte ich doch einfach dies oder jenes tun”, und die Antwort darauf lautet: „Nein, das könntest du nicht” Wir können es nicht, weil es unsere Programmierung nicht zulässt!

Dabei ist es egal, ob wir diese Programmierung als Erziehung, Gewissen, Moral, Anstand, Ethik, Vernunft, wirtschaftlichen Zwang oder Angst vor Strafe bezeichnen, Fakt ist, wir sind nicht wirklich frei in unserem Tun. Unsere Handlungsfreiheit ist eingebettet in unsere Situation und dadurch eingeengt. Je nach Situation bleibt uns oft nur eine einzige Entscheidungsmöglichkeit, die wir dann auch rational „wollen“, doch wird dadurch unser Wollen zum Sollen reduziert.

Viele Menschen glauben, dass sie sich anständig verhalten, weil sie anständig sein wollen. Das aber ist nur eine Illusion. Sie verhalten sich „anständig“, weil sie entweder so programmiert sind oder nicht anders können. In keinem Fall haben sie eine absolute Entscheidungsfreiheit. Sie reagieren also nur aufgrund ihrer Programmierung und der vorhandenen Gegebenheiten, auf welche sie keinen Einfluss haben. Die Steuerung des Menschen erfolgt nicht durch einen Faden, wie bei einer Marionette, sondern durch Umstände, die ihm keine andere Wahl lassen. Der Mensch wird dadurch berechenbar.
Er handelt nach Plan. Das wird uns bewusst, wenn wir daran denken, wie oft wir selbst versuchen einen anderen Menschen in seinem Verhalten zu berechnen bzw. seine Entscheidung in spezifischen Situationen im Voraus zu ermitteln. Einen Menschen der unberechenbar erscheint, finden wir suspekt.
Für die Tier- und Pflanzenwelt gilt dasselbe. Hätten Insekten, Vögel, Nutztiere und alle Pflanzen die Freiheit, ihr Leben unabhängig von ihrer Programmierung leben zu können, so gäbe es kein geordnetes Leben mehr, ja, es gäbe überhaupt kein Leben mehr auf diesem Planeten. Ob Boden- oder Darmbakterie, ob Biene oder Milchkuh, ob Getreide oder Wasser, ALLES auf dieser Erde agiert nach einem genauen Plan und im Konzert miteinander. Wieso glaubt dann der Mensch, dass er als einziger wirklich frei entscheiden kann?

Aristoteles definiert Freiheit als Selbstursächlichkeit.

Frei ist derjenige, der sein Handeln aus sich hervorgehen lässt und es sich als letzter Ursache anlastet. Diese von Aristoteles beschriebene Selbstursächlichkeit hat drei Charakteristika, die hier näher betrachtet werden sollen: Freiheit von Zwang, der Spontanität und des Urteils.
Äußere Fremdbestimmung (z.B. Gewalt) oder innere Fremdbestimmung (z.B. Furcht) schränken den Menschen in der Entfaltung seiner Freiheit ein. Ein freier Mensch ist eine Person, die nicht durch äußere Verhältnisse daran gehindert wird zu tun, was sie will. Wir sind frei, wenn wir tun können, was wir wollen, obwohl der Willensakt, wie bereits ausgeführt, von einer Kette von Ursachen bestimmt ist.
Mit Spontanität der Freiheit bezeichnet man jene Art des Menschen, wie er selbst sein Leben führen möchte. Natürlich ist diese immer eingebettet in Verantwortung und Gewissens-strenge. Denn wollen wir nicht einfach einem triebhaften Tun unterliegen, werden wir erkennen müssen, dass wahre Freiheit auch bedeutet, dass wir ein Regulativ benötigen, in Form der Vernunft und der Verantwortung.
Denn ohne diese Pficht der Verantwortung ist Freiheit nicht wirklich Freiheit, sondern einfach Willkür. Wer ein freier Mensch sein möchte, braucht also auch Selbstdisziplin und Vernunft. Freiheit ist nie möglich ohne das Bewusstsein, auf der anderen Seite eine Verpfichtung zu verspüren. Viele Menschen begreifen das heute überhaupt nicht und verwechseln Freiheit mit Möglichkeit.
Wenn ich die Möglichkeit habe, einen Wald zu roden, habe ich noch lange nicht die Freiheit das zu tun. Denn die Möglichkeit lässt die Folgen außer Acht, die Freiheit niemals. Damit wären wir wieder bei dem Symbol unseres Zirkels angelangt, der auch Verantwortung bedeutet. Ich soll mit dem Zirkel jederzeit den Radius meines Handelns abmessen können, die Folgen im Voraus bedenken, soweit dies möglich ist. Ich soll also weise überlegen, was ich tue. Denn die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt.
Die Freiheit des Urteils liegt in der Erkenntnis der Ziele und Wege menschlichen Handelns. Durch diese Erkenntnis erst werden die Handlungen zu unseren eigenen Taten. Fehlt sie oder ist sie nur bruchstückhaft vorhanden, sind wir keine „Spieler“ sondern „Spielball“.

Was verstehen viele Menschen heutzutage unter Freiheit?

Vielfach nutzen Sie die Möglichkeit, sich mit den Dingen zu beschäftigen, die man gern mag, sei es der Sport, die Politik, die Kunst oder die Möglichkeit, eine Loge zu besuchen.
Alle diese Beispiele sind exemplarisch für echte Freiheit. Aber sie sind letztendlich nur eine Ausdrucksform der Freiheit, sie sind oft noch nicht Freiheit an sich.
Wir leben in einer sehr freien Gesellschaft, wahrscheinlich hat es nie eine freiere gegeben in unserer Geschichte. Dennoch stelle ich die Behauptung auf, dass keiner von uns ein wirklich freier Mensch ist.
Ich gehe soweit, dass ich sage, wir sind oft sehr weit entfernt von dem, was Freiheit wirklich bedeutet. Wir sind sogar Sklaven, Sklaven unserer selbstgeschaffenen Möglichkeiten, die wir fälschlicherweise für Freiheit halten – wenn der neue Wagen Statussymbol wird, der Urlaub zum Pflichtprogramm, mindestens einmal im Jahr, wenn wir es nicht schaffen, vom Fernsehgerät loszukommen oder in der freien Zeit, die uns bleibt, auch noch an einem langen Sonntag einkaufen gehen.

NOCH einmal die Frage:  Was ist Freiheit?

Der Mensch bestimmt durch seinen Geist, er ist frei, sich sein eigenes Wesen zu schaffen, sagt der Philosoph Schelling. Freiheit endet also in erster Linie im Inneren des Menschen statt. Kant fügt diesem dann mit seinem Kategorischen Imperativ eine Begrenzung hinzu:

„Handle so, dass die Maxime deines Handelns jederzeit zu einem gültigen Gesetz erhoben werden könnte.“

Über diesem Grundsatz des Handelns schwebt ein weiteres großes Wort, dass wir in der Königlichen Kunst schätzen, es ist das Wort „Humanität”, und diese ist der Freiheit eng verwandt.
Der Humanismus beruht auf folgenden Grundüberzeugungen:

„Das Glück und Wohlergehen des einzelnen Menschen und der Gesellschaft bilden den  höchsten Wert, an dem sich jedes Handeln orientieren soll
„Die Würde des Menschen, seine Persönlichkeit und sein Leben müssen respektiert werden
„Der Mensch hat die Fähigkeit, sich zu bilden und weiterzuentwickeln
„Die schöpferischen Kräfte des Menschen sollen sich entfalten können
„Die menschliche Gesellschaft soll in einer fortschreitenden Höherentwicklung die Würde und Freiheit des einzelnen Menschen gewährleisten

Humanität ist die praktische Umsetzung der Ideen des Humanismus. Dies umfasst die prinzipielle Gleichheit aller Menschen jeder Herkunft und jeden Geschlechtes, die allgemeine Menschenwürde und den Pazifsmus (die Ablehnung des Angriffskrieges). lm weiteren Sinn beinhaltet Humanität auch religiöse und politische Toleranz und Achtung vor dem Mitmenschen und seinen Überzeugungen, im weiteren Sinn dann übertragen auch auf die menschliche Achtung vor Tieren und den menschenwürdigen, achtsamen und schützenden Umgang mit der Natur im allgemeinen.
Hieraus ergibt sich zwangsläufig, dass der wirklich freie Mensch seine Grenzen erkennen kann und seine Lebensführung sowie seine Handlungen danach ausrichtet.

Was kann man nun unter einem freien Mann verstehen?

„Die als Mitglieder einer Loge aufgenommenen Personen müssen gute und aufrichtige Männer sein, von freier Geburt, in reifem und gesetzten Alter, keine Leibeigenen, keine Frauen, keine sittenlosen und übel beleumundeten Menschen, sondern nur solche von gutem Ruf”.
Dieser Satz ist in den „Alten Pfichten” nachzulesen.
Heute sind, im Gegensatz zu früher, alle Menschen grundsätzlich frei geboren, hätten also, sofern es sich um Männer handelt, die gut beleumundet sind, die Zulassungsvorschrift der alten Pflichten erfüllt. So gesehen, könnten wir jeden Mann mit gutem Ruf und tadellosem Leumund in unseren Bund aufnehmen. Trotzdem müssen wir uns überlegen, wie heutzutage „ein freier Mann” und „von gutem Ruf“ zu definieren sind, hat doch der Begriff „freier Mann” eine andere Bedeutung, eine andere Dimension als zu Beginn des 18.Jh., als es noch Freie und Leibeigene gab. Generell müssen wir also heutzutage nicht mehr vom Gegensatz Leibeigener/ frei Geborener ausgehen, sondern vom geistig freien Mann.

Dem trägt auch das Ritual l Rechnung, indem der M.v.St. fragt:

„Wodurch soll sich ein Freimaurer im Leben vor anderen Menschen auszeichnen?“

Darauf antwortet der II. Aufseher:

„Durch winkelrechte Lebensführung, von der Sklaverei der Vorurteile befreite
Gedanken und echte Freundschaft zu seinen Brüdern“.

Als versklavende Vorurteile verstehe ich alle den freien Geist einschränkenden Dogmen und Ideologien, also neben den bekannten geisteinschränkenden Gedankenkrücken wie Sekten usw. alle bereits angeführten, auf einem bestimmten Gesellschaftsbild beruhenden Einschränkungen des freien Geistes. Aber auch der Karrierejäger, dessen Trachten nur oder weitgehend auf das Emporkommen und den eigenen Profit gerichtet ist, ist kein freier Mann mehr, sondern durch sein Streben ebenfalls zum Sklaven, zum reinen Hilfsarbeiter einer Organisation geworden.

Was also erwarten wir heutzutage als Freimaurerbund von einem Suchenden?

Zunächst wird die gesetzliche Freiheit, verbindliche Verträge einzugehen und über sein Vermögen zu verfügen, von einem Suchenden verlangt und damit zugleich die freie Verfügung über einen Teil seiner Zeit, damit er imstande ist, sich den Arbeiten der Bauhütte zu widmen.
„Er muss darüber hinaus frei in seinen Entschlüssen und ein geachteter Mitbürger unter seinesgleichen sein. Da der Freimaurerbund eine Gesinnungsgemeinschaft ist, muss derjenige, der sich ihr anzuschließen gedenkt, diese Gesinnung bereits in sich tragen. Darum ist auch das Aufnahmeverfahren in der Loge eine Prüfung auf diese für den Freimaurer unerlässlichen Besitz an Lebenserfahrung, Charaktereigenschaften, Grundsätzen des Handelns und einer gewissen seelischen Empfänglichkeitf”.

Wir alle sind im Leben irgendwie gebunden, sei dies durch den die freie Entwicklung von Ideen hemmenden Zwang die notwendigen Dinge zur Fristung unseres Lebens zu beschaffen, sei dies durch ideelle Bindungen, wie etwa derjenigen zur Familie. Diese Grenzen hat die Freimaurerei bereits erkannt und im Gelöbnis, welches der Suchende ablegt, mit folgenden Worten verankert: „meine Pflichten gegenüber meiner Familie, meiner Gemeinde, meinem Land und der Gemeinschaft der Menschen zu erfüllen“.
Damit sind meines Erachtens auch die Grenzen des freien Mannes größtenteils aufgezeichnet. Ich meine damit diejenigen, die einem freien Mann in zeitlicher, vor allem aber im Hinblick auf Notwendigkeit die Schranken aufzeigen, innerhalb deren er seine positiven Ideen zu entwickeln und zu verfolgen hat.

Wie steht es nun noch mit der Forderung aus den Alten Pflichten nach dem guten Ruf eines freien Mannes?

Hierzu müssen wir uns einmal die Frage stellen, mit wem würde ich lieber Geschäfte machen oder privaten Umgang pflegen – mit einer Person von anerkannt gutem Ruf oder mit jemandem, dem ein fragwürdiger, vielleicht sogar zwielichtiger Charakter nachgesagt wird?
Und würde ich selbst lieber einen guten Ruf haben wollen und mich jeden Monat finanziellen Herausforderungen stellen müssen oder stattdessen lieber reich sein wollen – jedoch mit einem schlechten Ruf?
Schauen wir dazu einmal auf die Werte, die für uns Freimaurer bestimmend sind. Werte die unser soziales Leben im Sinne des Humanitätsideals ausprägen sollen:

  • Menschlichkeit
  • Brüderlichkeit
  • Toleranz
  • Friedensliebe
  • soziale Gerechtigkeit
  • Selbsterkenntnis
  • Selbstbeherrschung
  • Selbstveredelung

Alle diese Werte, auch die drei Letztgenannten, haben eines gemeinsam, und zwar den Bezug zu dem anderen, zu dem Mitmenschen. Auch die Werte, bei denen die Bezeichnung „Selbst“ voransteht, diese Behauptung also zunächst scheinbar nicht zutrifft, haben diesen Bezug. Selbsterkenntnis, Selbstbeherrschung, Selbstveredelung sind kein reiner Selbstzweck, sondern dienen dazu zum Wohl der Mitmenschen beizutragen.

Ein Mann der diese Werte sichtbar vertritt, diese sogar kompromisslos lebt, ist ein Mann von gutem Ruf!

Mit zunehmender Reife ist mir bewusst geworden, wie immens wichtig solch ein guter Ruf ist. Wie wichtig es ist, ein integrer Mensch zu sein.

Einem Menschen von gutem Ruf ist es besonders wichtig, seine Integrität fortwährend aufrecht zu erhalten. Die Übereinstimmung zwischen idealistischen Werten und der tatsächlichen Lebenspraxis, nicht in jedem kleinsten Detail, aber im Großen und Ganzen sicher zu stellen. Ein integrer Mensch lebt in dem Bewusstsein, dass sich seine persönlichen Überzeugungen, Maßstäbe und die an einer humanistischen Ethik ausgerichteten Wertvorstellungen in seinem Verhalten ausdrücken müssen. Persönliche Integrität ist als Treue zu sich selbst umschrieben worden. Das Gegenteil von integer ist korrumpierbar, also sich in seinem Verhalten nicht von inneren Werten und Prinzipien, sondern von äußeren Drohungen und Verlockungen leiten zu lassen.

Ein freier Mann von gutem Ruf weiß daher, dass selbst das exklusivste Geschäft ihm keinen guten Ruf verkaufen kann. Er ist ein Gut, das weder gekauft noch gehandelt werden kann. Er kann nur durch ein Leben erlangt werden, in welchem hohe Ideale und persönliche Werte aufrechterhalten werden – selbst wenn das nicht bequem und nützlich erscheint.
ln einer Welt voller gebrochener Versprechen, wo soviele Menschen scheinbar nur ihre eigenen Interessen verfolgen, ist ein Mensch mit einem bekannt guten Ruf eine Seltenheit – und jemand, zu dem sich andere hingezogen fühlen wie zum Licht in einem dunklen Zimmer.

Zum Schluss meine ich, dass die in den alten Pflichten enthaltene Anweisung, nur freie Männer von gutem Ruf in unseren Bund aufzunehmen, ihren Sinn nicht verloren hat.

lm Gegenteil: Sie ist aktueller denn je.

Wir brauchen freie Geister, das heißt, die freien Männer von gutem Ruf, die zu suchen uns die im dargelegten Sinn verstandenen Alten Pflichten anhalten. Wir brauchen auch die etwas raueren Steine, die im Leben positive Ideen suchen, entwickeln und in die Realität umsetzen wollen. Die freien Geister nämlich sind es, die laut Geschichte unseren Bund bereichert haben und dies nach meiner Überzeugung auch künftig in besonderem Maße tun werden.

Von Bruder M.N.

Nach oben –


 

Toleranz im Denken der Gegenwart und die Praxis der Freimaurer
Von Bruder Christian Meier

Ich möchte das Thema meiner Zeichnung in drei Fragen aufbrechen:
Erstens: Wo ist dieses Thema im Arbeitsspektrum einer oder besser gesagt einer GLRYzF-Tochterloge verortet?
Zweitens: Was wird von wem in welchem Kontext gegenwärtig gedacht über Toleranz?
Drittens: Was ist oder was muß Praxis der Freimaurer beim Umgang mit Toleranz sein?

Zur ersten Frage:
Wo ist dieses Thema im Arbeitsspektrum einer oder besser gesagt dieser Loge verortet?
Das Arbeitsspektrum einer RY-Loge ist mit drei Stichworten zu kennzeichnen.

Sie lauten: Geselligkeit, Diskurs, Ritual!

Geselligkeit bedeutet:
Der Freimaurerbund ist eine Gemeinschaft geselliger, brüderlich verbundener Menschen, die sich mit Sicherheit so im profanen Leben niemals auf Augenhöhe begegnet wären.

Diskurs bedeutet:
Der Freimaurerbund ist eine ethisch-moralisch ausgerichtete Gemeinschaft, die sich an den Werten – Humanität, Brüderlichkeit, Freiheit, Gleichheit und Toleranz – orientiert, die permanent auf dem Prüfstand stehen.

Ritual bedeutet:
Der Freimaurerbund ist ein Werkbund, der sein Brauchtum und seine Symbole zur gefühlsmäßigen Vertiefung seiner Überzeugungen nutzt.
Wenn wir diese drei Stichworte – Geselligkeit, Diskurs und Ritual – als die drei Hauptrichtungen unseres Wirkens betrachten, so ist das Thema „Toleranz“ der zweiten Hauptrichtung zuzuordnen. Wenn wir sagen, wir orientieren uns am Wert der Toleranz, dann heißt dies: Wir setzen uns mit diesem Wert im Blick auf die Entwicklungen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft permanent auseinander, um zu erfahren, was er uns Freimaurern für unsere praktische Lebensgestaltung bedeutet.

Zur zweiten Frage:
Was wird von wem in welchem Kontext gegenwärtig gedacht über Toleranz?
Aufrufe zu und Verweise auf Toleranz dürfen heutzutage in keiner Sonntagsrede fehlen. Ob Bundespräsident, ob Sozialarbeiter, ob Oberstudienrat, jeder führt diesen Begriff nahezu permanent im Munde. Es ist wie beim Einfordern von „Respekt“. Wer würde da widersprechen? Doch daß alle Toleranz gut finden, liegt weniger daran, daß alle so tolerant wären. Sondern vielmehr daran, daß niemand zu wissen scheint, was Toleranz genau bedeutet und wo ihre Grenzen liegen.

Der Duden definiert die Toleranz als „Duldsamkeit“, das Etymologische Wörterbuch der Deutschen präzisiert „tolerieren“ als „dulden, zulassen, gelten lassen“. „mit Großzügigkeit, Nachsicht begegnen, einer Sache aufgeschlossen gegenüberstehen“.

Historisch gesehen tauchte die Toleranzidee mit der Entstehung des Monotheismus auf. Was tun mit Andersgläubigen? Der dicht besiedelte Götterhimmel der Antike mag zwar kein Ort reiner Toleranz gewesen sein, aber letztlich fand jeder Gott seinen Platz darin. Nun aber sollte ein Gott allein im Himmel wohnen. Zur Zeit der Kreuzzüge, Hexenverfolgungen und Glaubenskriege, später auch des Kolonialismus, hatten die meisten Herrschenden eine klare Haltung zu Andersgläubigen: Sie waren Ungläubige und entweder zu bekehren oder zu bekämpfen. Oder beides. Allenfalls wurde zwischen „Ungläubigen“ – Heiden und auch Andersgläubige wie Juden – und „Häretikern“ unterschieden, wobei letztere besonders harter Verfolgung ausgesetzt waren.

Einen außerordentlich brutalen Höhepunkt fanden die Konfessionskriege in der Pariser Bartholomäusnacht von 1572, in der etwa 3000 Protestanten – die sogenannten Hugenotten – von Katholiken ermordet wurden. Erst im Edikt von Nantes von 1598 garantierte der katholische König von Frankreich, Heinrich IV., den Hugenotten Bürgerrechte und religiöse Toleranz. Gleichzeitig blieb der Katholizismus französische Staatsreligion. Bei Hofe waren protestantische Gottesdienste verboten.

Die meisten Toleranzedikte dienten realpolitischen Zwecken. Sie sollten Frieden gewährleisten und die Wirtschaftskraft des Staates fördern, indem sie den erfolgreichen Hugenotten und Juden eine Perspektive boten. Die monotheistischen Religionen haben aber auch wichtige Impulse zur Entwicklung von Toleranz geliefert. Inspiriert durch Forderungen aus ihren Heiligen Schriften wie Nächstenliebe, Gewaltlosigkeit und Nachsicht entstanden tolerante Denkweisen.

Neben den monotheistischen Religionen gibt es noch eine zweite entscheidende Traditionslinie der Toleranz: den Liberalismus.
John Locke (1632-1704) forderte den Staat in seinem „Letter Concerning Toleration“ von 1689 auf, er möge sich weitgehend aus religiösen Fragen heraushalten – nur den Atheismus solle er nicht dulden. Seine Aufgabe sei es, Freiheit, Leben und Eigentum seiner Bürger zu schützen. Eingriffe in die Religion würden seine Befugnisse übersteigen.
John Stuart Mill (1806-1873) schließlich leitete Toleranz vom Begriff der Freiheit ab. Diese dürfe nur eingeschränkt werden, um Schaden von anderen Bürgern abzuwenden. Und er brachte noch ein weiteres wichtiges Argument vor:

Wir müssen tolerant sein, weil wir nicht sicher sein können, daß eine uns missliebige Haltung oder Handlung nicht doch wahr beziehungsweise richtig sein könnte. Selbst wenn sie falsch sei, diene sie noch immer der Auseinandersetzung und damit dem Erkenntnisgewinn.

In Voltaires Worten: Es sei selbstverständlich, daß wir uns alle wechselseitig dulden müssen, weil wir alle schwach, inkonsequent, der Veränderung, dem Irrtum unterworfen sind. Wird ein vom Wind zum Schlamm hin gebogenes Schilfrohr einem Schilfrohr-Nachbarn, der in die Gegenrichtung gebogen wird, sagen:

Beuge dich auf meine Weise oder ich erstatte Anklage, daß man dich ausreißt oder verbrennt“?

Die Aufklärer säkularisierten und erweiterten den Toleranzbegriff damit: Nunmehr hieß Toleranz nicht mehr nur „dulden“, zulassen, ertragen“. Sie beruhte auf einem Recht. Etwa dem Recht, sich von seinem Streben nach Glück nicht abbringen zu lassen, wie es in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von 1776 steht. Und auch Gotthold Ephraim Lessing zeichnete mit seiner „Ringparabel“ von 1779 aus dem Drama „Nathan der Weise“ ein prägnantes Bild des Toleranzbegriffs zu jener Zeit.
Im 19. Jahrhundert tauchte der Begriff noch in einem ganz anderen Kontext auf. Toleranz bezeichnet dabei die „zulässige Abweichung vom Nennwert“ und findet sich bis heute in den Deutschen Industrie-Normen (DIN), etwa wenn es um die Frage geht, um wie viel Gramm eine Waage maximal danebenliegen darf. In eine ähnliche Richtung geht die „Fehlertoleranz“, laut Duden die Eigenschaft eines Rechners, auch dann noch korrekt zu arbeiten, wenn Teile der Hardware oder Software ausfallen. Dies dürfte dem Gefühl der meisten Menschen entsprechen: Demnach ist Toleranz eine Haltung, die irgendwo zwischen Akzeptanz und Ablehnung oszilliert, ohne sich ganz auf eine Seite zu schlagen.

Rainer Forst, Professor für Philosophie und Politische-Theorie an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main, hat diese Ambivalenz klug beschrieben, indem er auf einige Eigenschaften von Toleranz hinweist:
Die eine ist die „Ablehnungs-Komponente“: Sie besagt, daß die tolerierten Überzeugungen oder Praktiken als falsch angesehen oder als schlecht verurteilt werden. Ohne diese Komponente lägen entweder Indifferenz oder Bejahung vor, nicht aber Toleranz.
Die andere ist die Akzeptanz-Komponente, die Gründe dafür benennt, wieso es richtig oder gar geboten ist, die falschen oder schlechten Überzeugungen beziehungsweise Praktiken zu tolerieren. Dabei werden die Ablehnungsgründe freilich nicht aufgehoben, sondern jeweils aufgewogen und übertrumpft.

Und da ist drittens die Zurückweisungs-Komponente, die Gründe für die Bestimmung der viel diskutierten Grenzen der Toleranz enthält. Hier überwiegt eine eindeutig negative Bewertung, die ein Ende der Toleranz und gegebenenfalls ein Eingreifen erfordert. Diese Bewertung muß besonders gut begründbar sein, wenn sie etwa Rechtsfolgen nach sich zieht.

Schließlich:
Toleranz müsse aus freien Stücken gewährt werden. Eine erzwungene Toleranz gibt es nicht – hier liegt die Grenze zu reinem „erdulden“ oder „ertragen“. Womit die Bedeutung von Toleranz skizziert wäre, noch nicht aber die Antwort auf die Frage vorliegt:

Wieso sollen wir eigentlich tolerant sein?

Das folgende Beispiel illustriert zwei mögliche Antworten auf die Frage:  Sollen muslimische Frauen hierzulande öffentlich eine Burka tragen dürfen?

Die Antwort von John Locke wäre:

Wir mögen die Burka zwar ablehnen, schätzen es aber zugleich, in einem Staat zu leben, der seinen Bewohnern ein so hohes Maß an Freiheit ermöglicht, daß er selbst die Burka zuläßt. Das Tragen einer Burka müsse erlaubt sein, weil sie den Staat nichts angeht. Dieses Argument geht von einer negativen Freiheit aus, d.h. der Freiheit von einem gängelnden Staat.

Die zweite Antwort von John Stuart Mill oder Voltaire würde so heißen:

Eine Burka muß erlaubt sein, weil auch die Burka-Gegner nicht sicher sein können, daß die westlich-liberale Lebensführung die einzig richtige ist. Hier wird Freiheit anders verstanden: Der Mensch ist autonom und hat das Recht, sich frei zu entwickeln, und zwar auch in eine Richtung, die man selbst kategorisch ablehnt.

Aber sowohl die Herleitung von Toleranz aus der Freiheit von einem Staat, der sich zu sehr einmischt, als auch die Herleitung aus der positiv verstandenen Freiheit, sich selbstbestimmt auf etwas hin zu entwickeln, hat einen Haken:
Um beim Burka-Beispiel zu bleiben:

Ist die Freiheit, sich äußerlich so vollkommen abzugrenzen, nicht in Wahrheit eine Unfreiheit?

Beide Herleitungen gehen davon aus, daß die Frau die Burka freiwillig trägt – aber stimmt das, und wie ließe sich das prüfen?

Es gibt noch eine dritte Antwort auf die Frage, wozu wir Toleranz brauchen.

Sie lautet: „Manchmal brauchen wir sie gar nicht“.

Toleranz kann nicht heißen, alles hinzunehmen. Sie ist nicht notwendigerweise eine Tugend. Schließlich gilt doch auch die Formel: „Null-Toleranz für Intoleranz“, oder? Zum Teil ja, denn alles tolerieren zu wollen, würde bedeuten, zugleich die Zerstörung der Grundlagen für Toleranz hinzunehmen.

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde etwa hat darauf hingewiesen, daß der freiheitliche Rechtsstaat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren könne. Andererseits kann er diese Voraussetzungen nicht mit „Mitteln des Rechtszwanges und des autoritativen Gebots zu garantieren versuchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben“ und ohne in einen Totalitätsanspruch zurückzufallen. Entweder er kapituliert aus lauter Toleranz vor der Intoleranz. Oder er wird selber intolerant.

Aber wann darf der Staat sich so verhalten?

Hier zeigt sich, daß die Formel „Null-Toleranz für Intoleranz“ zu simpel gedacht ist. Denn wer jemanden als „intolerant“ brandmarkt und dann im Namen der Toleranz „Null-Toleranz“ fordert, maßt sich an, Intoleranz verbindlich zu definieren. Doch auch sie ist kaum dingfest zu machen. Die Formel ist selbst ein Einfallstor für Intoleranz. „Die Paradoxie der Grenzziehung lautet also, daß Toleranz stets in ihr Gegenteil, die Intoleranz umschlagen muß, wenn sie die unumgängliche Grenzbestimmung zwischen dem Tolerierbaren und dem Nicht-Tolerierbaren vornimmt“, sagt Rainer Forst. „Hier ist daran zu erinnern, daß die Frage der Toleranz stets auch eine Frage der Macht ist.“ Toleranz kann also ein manipulativer Kniff sein.
Übrigens gilt auch das Gegenteil der Intoleranz-Formel: „Null-Toleranz für Tolerante“!

Man stelle sich einen Rassisten vor, der die Gleichwertigkeit aller Menschen als eine Haltung billigt, die eben von seiner eigenen abweicht. Gibt es einen „toleranten Rassisten“?

Wäre so einer nicht immerhin besser als ein intoleranter Rassist? Fragen, bei denen einem schwindlig werden kann.

Rainer Forst gibt eine elegante Antwort, indem er das Gedankenspiel auf die Spitze treibt:

„Je mehr solcher Vorurteile er hat, umso größer wäre die Möglichkeit für ihn, tolerant zu sein.“

Toleranz gegenüber dem Rassisten wäre allerdings fehl am Platz. Stattdessen müßte man ihm die Absurdität seines Rassismus vor Augen halten und ihn davon abzubringen versuchen.
In einigen Verwendungen des Begriffs Toleranz hat sich das Bewußtsein dafür erhalten, daß Toleranz auch negativ besetzt sein kann. Etwa beim Wort „tolerabel“, für das der Duden die Synonyme „leidlich, tragbar, zufriedenstellend“ vorschlägt. Oder wenn von Flüchtlingen die Rede ist, die „nur toleriert“ werden, was bedeutet, daß man ihnen kein Bleiberecht gewährt. Hier wird das Wort euphemistisch benutzt. Tolerant ist ein Staat demnach schon, wenn er einen Flüchtling nicht aktiv abschiebt. Toleranz wird degradiert zur jederzeit widerruflichen Gunst. „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen“, sagt Goethe. Ein schöner Zufall, daß sein Satz bis aufs Wort in die heutige Ausländerrechts-Terminologie „tolerieren/dulden/anerkennen“ paßt.

Ausgehend von diesem vorgestellten Kernkonzept der Toleranz unterscheidet Rainer Forst vier Konzeptionen von Toleranz, von denen die beiden ersten für eine Analyse der erwähnten Konflikte in pluralistischen Gesellschaften unmittelbar relevant sind:

Erstens: Die „Erlaubnis-Konzeption“ der Toleranz
Eine Autorität gibt dabei einer oder mehreren Minderheiten die Erlaubnis, ihren als „abweichend“ gekennzeichneten Überzeugungen gemäß zu leben, sofern sie nicht die Vorherrschaft der Autorität infrage stellen. Das Anderssein der Minderheiten soll „Privatsache“ bleiben, innerhalb eines eng umgrenzten und klar definierten Rahmens, den die machthabende Seite festlegt. Die Toleranz wird gewährt und kann jederzeit zurückgezogen werden, wenn die Minderheiten bestimmte Bedingungen verletzten. Ablehnung, Akzeptanz und Zurückweisung liegen in der Hand der Autorität, die unter keinem prinzipiellen, institutionalisierten Rechtfertigungszwang steht. Diese vertikale Toleranz findet sich in den klassischen Toleranzgesetzgebungen, etwa im schon genannten Edikt von Nantes (1598). Dabei zeigt sich die Ambivalenz dieser Art von Toleranz. Während sie einerseits verfolgten Minderheiten eine gewisse Sicherheit und bestimmte Freiheiten gewährt, ist sie andererseits eine Fortsetzung der Herrschaft mit anderen Mitteln. Denn die tolerierten Minderheiten müssen ihre Freiheiten mit Gehorsam und Loyalität gegenüber der Autorität bezahlen. So ergibt sich ein komplexes Bild der Disziplinierung durch Freiheitsgewährung: Die Autorität herrscht, indem sie erlaubt, nicht indem sie verbietet. Diese Toleranz ist es, die z.B. in der vorhin zitierten Bemerkung von Goethe attackiert wird.

Zweitens: Die „Respekt-Konzeption“ der Toleranz
Dabei ist die Toleranz eine Haltung der Bürger zueinander: Sie sind zugleich Tolerierende und Tolerierte, und zwar als dem Recht zugleich Unterworfene und es Autorisierende. Obwohl sie in ihren Vorstellungen über das Gute und das Seligmachende deutlich voneinander abweichen, erkennen sie einander einen Status als gleichberechtigte Bürger – und historisch erst spät: Bürgerinnen – zu, der besagt, daß die allen gemeinsame Grundstruktur des politischen und sozialen Lebens allein auf solche Normen beruhen darf, die alle Bürger gleichermaßen akzeptieren können. Die „Autorität“, Freiheiten zu „verleihen“, liegt nun nicht mehr bei einem Machtzentrum allein, sondern in einem Prozeß der Legitimation, der bestimmte Grundrechte nicht verletzen darf und in Grundsatzfragen ein besonderes Rechtfertigungsniveau vorsieht. Religionsfreiheit – zum Beispiel – ist damit ein Recht, das demokratische Bürger einander zugestehen, weil religiöse Zwangsausübung nicht wechselseitig gerechtfertigt werden kann.
Im Fall des Burka-Streits erscheint es aus der Perspektive der vertikalen Erlaubnistoleranz ausreichend, einer Lehrerin muslimischen Glaubens die Erlaubnis zur Ausübung ihrer Tätigkeit unter der Bedingung zu erteilen, daß sie auf das Tragen eines auffälligen religiösen Symbols verzichtet, dessen Wirkung sich Schulkinder nicht entziehen können. Denn auch ungeachtet der Motive der Lehrerin stecke darin eine negative religiöse Beeinflussung von Kindern, insbesondere von Mädchen aus muslimischen Familien.
Aus der Perspektive der Respekt-Konzeption der Toleranz wiederum ist es nicht gerechtfertigt, unabhängig vom Einzelfall ein solches Pauschalurteil zu fällen. Vielmehr bedeutet der gegenseitige Respekt unter Staatsbürgern, daß sie sich in ihren unterschiedlichen ethisch-kulturellen Identitäten tolerieren und die geltenden Gesetze und Verordnungen daraufhin überprüfen, ob sie dem Anspruch des gleichen Respekts gerecht werden oder ob sie fremde Lebensformen benachteiligen unter Generalverdacht stellen.
Aus der Perspektive der Erlaubnistoleranz ist es ausreichend, Lebensformen gleichgeschlechtlicher Partnerschaft nicht zu verbieten oder offen zu diskriminieren. Eine Gleichstellung in so zentralen Institutionen wie der Ehe jedoch wird wegen der Wertüberzeugungen der überwiegenden Mehrheit abgelehnt. Aus der Perspektive der Respekt-Konzeption wiederum ist eine rechtliche Gleichstellung geboten, sofern damit nicht die Rechte anderer beeinträchtigt werden, was in solchen Fällen nicht ersichtlich ist.
Außer der Erlaubnis- und der Respekt-Konzeption der Toleranz gibt es bei Rainer Forst noch zwei weitere Konzeptionen der Toleranz:

Das ist zum dritten: Die „Koexistenz-Konzeption“ der Toleranz
Dabei beschränken sich etwa gleich starke Gruppen darauf, bei aller Gegensätzlichkeit ihrer Lebensweisen sich gegenseitig in Frieden zu lassen

Da ist zum vierten: Die „Wertschätzungs-Konzeption“ der Toleranz
Sie geht über den Respekt hinaus, indem die Werte und Lebensweisen anderer sogar als ethisch wertvoll betrachtet werden.
Besonders schwierig wird es, wenn zwei Seiten Toleranz für sich in Anspruch nehmen und sich dabei auf elementare Rechte berufen. Zum Beispiel beim Streit um die Beschneidung: Hier das Grundrecht auf Religionsfreiheit gemäß Artikel 4 des Grundgesetzes, dort das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit in Artikel 2. Womit wir wohl bei der kniffligsten Frage sind, nämlich der nach Subjekt und Objekt. Wer soll wem gegenüber tolerant sein?
Muslimische und jüdische Eltern, wenn sie ihre in Deutschland lebenden Söhne nicht beschneiden lassen, oder der Staat, wenn er die Beschneidung akzeptiert?

Muslimische Eltern, die ihre Tochter zum Schwimmunterricht gehen lassen, oder der Schuldirektor, der sie davon befreit?

Ist am Ende schlicht der tolerant, der nachgibt? Die Antworten stecken nicht im Begriff Toleranz – aber die Debatte darüber kann mit seiner Hilfe geführt werden.
Vielleicht ist Toleranz nur so zu umreißen, wie es das Grimmsche Wörterbuch vorschlägt: „toleranz heiszt: wenn man fünf gerade sein läszt“. Dieser Vorschlag könnte auch der Kölschen Mentalität entsprechen.
Gleichwohl mag diese Unschärfe frustrierend sein. Aber gerade weil „Toleranz“ ambivalent und dehnbar ist, hält sie sich im Gespräch, wird nie ganz verstanden, bleibt aber immer erstrebenswert. Jedenfalls innerhalb einer gewissen Fehlertoleranz!!!

Und damit komme ich Zur dritten Frage:
Was ist bzw. was muß Praxis der Freimaurer beim Umgang mit Toleranz sein?
Wenn ich von der Aussichtsplattform „Was wird von wem in welchem Kontext gegenwärtig über Toleranz gedacht?“ auf die Praxis – das Verhalten – der Freimaurer schaue, dann lassen sich mit Blick auf meinen masonischen Aktionsraum in Berlin vier Tendenzen erkennen:

Erste Tendenz:
Die Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (GL AFuAMvD) preist die Wertigkeit der Toleranz durch die Verleihung von Kulturpreisen an und von Auszeichnungen für Persönlichkeiten, die in Lebenswerk Toleranz und Humanität vorbildlich demonstrieren. Damit sichert sie sich zwar Schlagzeilen in regionalen, vielleicht auch überregionalen Tageszeitungen für einen Tag, aber mehr nicht.
Schon besser sind die Initiativen einzelner Distrikte von Großlogen, wie z.B. des Distrikts Nordrhein-Westfalen der GL AFuAMvD, der vor Jahren unter den Schulen des Landes einen prämierten Wettbewerb zum Thema „Toleranz“ ausgeschrieben hatte und aus dem als Sieger ein Gymnasium in Iserlohn hervorgegangen war.
Auch wenn Eigenlob bekanntlich stinken soll, sage ich: Premiumklasse hat die Veranstaltungsreihe „Dialog im Logenhaus“ der GLRYzF in Berlin, die mit solchen Themen wie „Integration in Deutschland – oder die Kunst „Deutsch“ zu sein“ bzw. „Sterbehilfe – Mein Wille geschehe oder doch der Wille der Anderen?“ die Reichweite und Grenzen vorgegebener Toleranzkonzeptionen im Gespräch mit Brüdern, Suchenden, Interessierten und besonderen Gästen auslotet.

Premiumklasse hat auch die „Peter Doderer-Initiative“. Was ist damit gemeint?

Br. Peter Doderer, Zugeordneter A.F.u.A.M.v.D-Großmeister, ist Mitglied der Bürgerstiftung Berlin-Neukölln, die am 21. November 2005 rechtsfähig in Erscheinung getreten ist. Die Bürgerstiftung zielt auf die Teilhabe aller Menschen vor Ort an der Gestaltung ihres Lebensumfeldes und auf ein respektvolles tolerantes Miteinander.

Br. Doderer hat zusätzlich zur Unterstützung durch Finanzmittel der A.F.u.A.M.v.D in Höhe von 4200.- EUR in 2009 und von 3500.- EUR in 2010 zum fünften Jahrestag der Gründung der Bürgerstiftung eine persönliche Einlage zum Stiftungskapital gemacht und ist damit in den Kreis der Stifter eingetreten.

Sein Engagement „als bekennender Freimaurer“ hat er in einem Interview mit dem „Newsletter“ der Bürgerstiftung vom 22. Juli 2010 wie folgt begründet:

„Ich habe riesige Hochachtung vor Menschen, die sich bereit finden, in einem solchen Schmelztiegel – wie Neukölln – Verständnis für den Anderen zu erzeugen. Und dass sie versuchen, jungen Menschen eine Perspektive anzubieten, spricht mir aus dem Herzen. Ein Besuch in der Stiftung hat mir gezeigt, in welcher Vielschichtigkeit hier gearbeitet wird. Das konnte ich mir von außen – ich wohne weit weg in Osnabrück – gar nicht vorstellen. Ich verstehe „Neukölln Plus“ jetzt so: Die Bürgerstiftung verfolgt keine Doktrin. Und keine politische Ausrichtung setzt ihr Grenzen. Sie will Menschen interkulturell zusammenbringen und zur Toleranz erziehen. Und sie will Stütze sein für Menschen, die Hilfe brauchen.“

Zweite Tendenz:
In sehr traditionell arbeitenden Berliner Logen mit einem hohen Altersdurchschnitt ist die Beschäftigung mit dem Wert Toleranz gleichbedeutend mit ehrfurchtsvoller Verbeugung vor der Monstranz „Toleranz“ und mit permanenter Selbstvergewisserung in verschiedenen Formen, wie tolerant wir doch im Umgang unter uns Logenbrüdern sind und daß uns das gesellschaftspolitisches Ringen um Toleranz daher nicht zu tangieren hat. Diese Haltung ist verständlich, aber für mein Verständnis von Freimaurerei nicht zielführend.

Dritte Tendenz:
In den Logen, wo sich die Brüder – meist in einem mittleren Altersdurchschnitt und zum Teil mit Migrationshintergrund – dem Leitbild einer zeitgemäßen Gegenwartsfreimaurerei verpflichtet fühlen, ist es Praxis, die gesellschaftspolitischen Themen aufzugreifen und zu erörtern, die ein Ringen um Toleranz fordern. Vier Themen habe ich in den Tochterlogen der Großen Loge Royal York zur Freundschaft ausgemacht, ohne damit gleich Patentrezepte für tolerantes Verhalten zu offerieren, aber stets nach der Regel zu verfahren: Intelligentes Räsonieren ist immer besser als schnelles Antwortverhalten.

Erstes Thema: Der Islam in Deutschland
Am 3. Oktober 2010 erklärte der damalige Bundespräsident Christian Wulff in einer Rede den Islam zu einem Teil von Deutschland. Was meinte er damit? Entweder die überfällige Erkenntnis, daß in einem faktischen Einwanderungsland wie Deutschland Moslems als Mitbürger anzusehen sind, deren Integration eine Anerkennung als gleichberechtigt erfordert. Oder die durchaus strittige Überlegung, daß jede noch so traditionelle Auslegung des Islam in Deutschland zur Wertebasis gehören kann. Die erste Überlegung richtet sich auf die Toleranz gegenüber hier lebenden Menschen. Die zweite Auslegung bezieht sich auf die Kriterien und Werte des Zusammenlebens selbst. Was Toleranz der vom Islam geprägten Menschen genau von anderen in Deutschland verlangt, ist unklar und kontrovers. Erschwerend kommt hinzu, daß die Frage nach dem toleranten Umgang mit Moslems verstellt wird durch den politischen Islam.

Zweites Thema: Indifferenz im Miteinander
Insbesondere das großstädtische Leben verwandelt Toleranz oft in Indifferenz, die sich in manchen Teilen einer Stadt wie Berlin als kriminalitätsbegünstigende Verwahrlosung zeigt und dazu führt, dass Hilfsbedürftige bewußt oder unbewußt ignoriert werden. Im Gegenzug entsteht eine Debatte über die Notwendigkeit von Zivilcourage. Die Indifferenz ist einerseits zwar ein Erfolgsgeheimnis des Großstadtlebens, wirft aber andererseits Fragen nach den Grenzen der Toleranz auf. Die hier erforderliche Grenzziehung ist anspruchsvoll: Verschiedene Erziehungsstile unter Nachbarn mit Migrationshintergrund mögen selbstverständlich zu tolerieren sein. Doch Zonen der Gewalt in einzelnen Stadtteilen oder gar in Schulen unter welcher ideologischer Ausgestaltung auch immer sind nicht zu tolerieren.

Drittes Thema: Neue Felder der Toleranz in Bio- und Medizinethik
Neue medizintechnische und biotechnologische Möglichkeiten werfen neue ethische Fragen auf, die auch ein neues Konfliktfeld der Toleranz bilden. Der Umgang mit der allerletzten Lebensphase bei schwersten Krankheiten ist ethisch extrem umstritten. Vermutlich kann eine rechtliche Regelung diese Problematik nicht zufriedenstellend für alle lösen. Deshalb ist im gesellschaftlichen und individuellen Miteinander auch hier die Toleranz gefordert, wenn Menschen mit stark divergierenden ethischen Auffassungen zu Grenzthemen des Lebens aufeinandertreffen.

Viertes Thema: Neue Intoleranz durch Medien?
Während sich in der Aufklärungszeit die bürgerliche Öffentlichkeit für mehr Toleranz einsetzte, stellt sich heute die Frage, ob es einen Vereinheitlichungssog der Massenmedien in Bild, Schrift und Ton gibt, der Toleranz konformistisch gefährdet? Muß heute nicht ein Intellektueller eher vom Sprachrohr der Öffentlichkeit zum Kritiker der Öffentlichkeit werden, um gegen eine intolerante Konformität zu arbeiten? Wenn viele sich zu schnell einigen und nach Konsens streben, werden Kontroversen unterbunden und Konflikte nicht ausgetragen. Nur Differenzen, die im Streit als solche profiliert sind, können Anlaß zur echten Toleranz sein. Die öffentliche und vor allem die veröffentlichte Meinung könnte heute von einem Garanten der Toleranz zu einem potentiell intoleranten Herrschaftsmedium geworden sein, auch wenn Toleranz grundsätzlich weiterhin als Wert hochgehalten wird. Intoleranz äußert sich dann durch massenmediale Oberflächlichkeit und Mainstreaming, indem divergente Auffassungen nicht mehr präsentiert und schon gar nicht mehr angemessen verstanden werden, so daß zu tolerierendes Fremdes zumindest in Teilen des medialen Weltumgangs immer weniger vorkommt.

Vierte Tendenz: Die Auseinandersetzung mit den neuen Propagandisten der Intoleranz
An erster Stelle ist hier zu nennen: Henryk M. Broder mit seinem Buch „Kritik der reinen Toleranz“ – Mein Referat dazu bei UzU ist auf Anfrage erhältlich.

Schlußbemerkung
Mit diesen Einlassungen zu Kontext und Konzeptionen der Toleranz sowie zu den Konsequenzen für den praktischen Umgang mit ihr demonstrieren wir Freimaurer nicht nur augenfällig, wie reichhaltig und vielseitig das geistig kulturelle Angebot einer modernen und zeitgemäßen Freimaurerei für freie Männer von gutem Ruf ist, sondern auch, daß es sich wirklich lohnt, in dieser Gemeinschaft mitzuwirken, weil der Gewinn für die eigene Standortbestimmung in der Gesellschaft und die daraus resultierende Lebensgestaltung erheblich und dauerhaft ist.

Von Bruder Christian Meier

 

Nach oben –


Königliche Kunst als Gesamtkunstwerk der Lebenskunst

 

Von Bruder Kurt Ausfelder

Ich beschäftige mich heute mit Gedanken zur königlichen Kunst als Gesamtkunstwerk der Lebenskunst „Der Mensch wird am Du zum Ich.” Sagt Martin Buber („Das Dialogische Prinzip”)
Und weiter:
„Das ist der ewige Ursprung der Kunst, dass einem Menschen Gestalt gegenübertritt
und durch ihn Werk werden will.”

Beginnen möchte ich mit der Behauptung: Mit dem Verstand versteht man die Freimaurerei nicht. Wohl aber mit dem Herzen. Das gilt auch für Die Kunst ganz allgemein. Sich selbst als Freimaurer zu erkennen ist ein Gefühl, das den Verstand und die Sinne beansprucht. Der humane Gedanke liegt dabei in der Lernfähigkeit von Menschenfreundlichkeit, Toleranz, Freiheit und Brüderlichkeit. Also beschäftige ich mich damit wie der Mensch sein sollte – nicht wie er ist – im Sinne der Humanität und der Lebenskunst, bei der der Mensch mehr ist als ein Mittel zum Zweck in einer Marketinggesellschaft von Produkten und Dienstleistungen.
In einem Gesamtkunstwerk sind es die einzelnen Steine die das Werk gestalten, das zur Lebenskunst des Freimaurers führen kann.
Josef Beuys, ein Künstler mit einer individuellen Philosophie die sich in seinen Werken ausdrückt, hatte über der Tür seines Unterrichtsraumes an der Düsseldorfer Kunstakademie den Satz stehen: „Wer nicht denkt fliegt raus”. Ein zeitgenössische Künstler der die Kunstwelt sehr stark beeinflusste und in der Bevölkerung auf Unverständnis und Vorurteile stieß. Auch bei Journalisten die auf Schlagzeilen und Sensationen aus waren. Seine Ablehnung, wie auch die von Van Gogh, lag wohl darin, dass sein Verständnis aus der Kunstgeschichte (der Künstler Wilhelm Lehmbruck war ihm Vorbild) heraus neue Wege ging. Er führte den Gedanken von der Gesellschaft als „Soziale Plastik” ein und behauptete:

„Jeder Mensch sei ein Künstler”.

Dabei ist offen was ein guter, was ein schlechter Künstler ist. Diesem Gedanken, dass in jedem Menschen ein Künstler stecke, stand schon 1947 Willi Baumeister, einer der bedeutendsten deutschen Maler nahe, mit dem Gedanken: in jedem Menschen sei ein Künstler angelegt, „dass unter gewissen Umständen, in einem gewissen Zustand es jedem gegeben sei Kunst zu machen”.
Von Bertholt Brecht stammt der Satz:

„Alle Künste tragen bei zur größten aller Künste, der Lebenskunst.”

Das wäre vor allem die darstellende Kunst, die bildende Kunst und die reproduzierende Kunst.
Nun stellt sich die Frage wo diese Künste ihren Ursprung haben und wie die Entwicklung, bis zur heutigen Vorstellung, vom Begriffsumfang Kunst vonstatten gegangen ist.
– Wir wissen nicht genau warum Kunst entstand.
– Wir wissen nicht genau wie Freimaurerei entstand. Beide scheinen in der Natur der Menschen angelegt zu sein. Beide sind Ebenen einer sozio-kulturellen, evolutionären Entwicklung des Menschen. Willi Baumeister, der Maler und Theoretiker formulierte: „Alle frühe Kunst ist kultisch gebunden.” Denken wir an die sogenannten Naturvölker mit ihren Tänzen, Fetischen, Riten, Tätowierungen, Körperbemalungen. Denken wir an die Steinzeitmenschen mit ihrer Herstellung von Kleinplastiken, (eine besondere Fundgrube sind die Höhlen in der Schwäbischen Alb) an die Höhlenmalereien und Felsritzungen. An die Pyramiden der Ägypter, an ihre Mysterienkulte, an die Mysterienkulte der Griechen und Römer.

Insbesondere an den Mitraskult, der durch die römischen Soldaten in der ganzen Welt verbreitet wurde und in Konkurrenz zum Christentum stand. Als das Christentum unter Konstantin Staatsreligion wurde, zerstörten die Christen fast sämtliche Tempel des Mitraskultes.
Nur wenige sind noch in Deutschland erhalten. Marc Aurel, der Stoiker und Kaiser, der frei von diktatorischem Eifer war, verstand sich wohl als Christ und Anhänger des Mitraskultes. In Pompeji ist ein Wandzyklus von einem Einweihungsvorgang eines griechischen Mysterienkultes zu finden.
Ich möchte jetzt nicht näher auf die Funktion der bildenden Kunst für Altar und Thron, im Mittelalter, eingehen, die zur Verkündigung des christlichen Glaubens entstand. Das Bild war dem Wort gleichgestellt. Die Symbolik in den einzelnen Gemälden muss man sich heute besonders erarbeiten, da sie uns fremd geworden ist.

Ab der Renaissance und der Aufklärung befreite sich die Kunst von Thron und Altar, wurde selbständig. Es entwickelte sich die Freiheit der Kunst und des Künstlers, in dem er selbst sein eigener Auftraggeber wurde. Der Künstler Goya setzte sich über die herrschenden Konventionen hinweg, mit dem was er für abbildungswürdig hielt: z.B. 1814 die Erschießung von Aufständigen.

Auf die weitere Entwicklung will ich jetzt nicht weiter eingehen. Besonders interessant ist die Gründung des Bauhauses als Kunstschule. Gegründet von Walter Gropius in Weimar (1019 – 1925), dann kam die Übersiedlung nach Dessau (1925 – 1932) durch die Machtübernahme der Nazis in Weimar. Dann gab es noch ein kurzes Zwischenspiel in Berlin.
Im Bauhaus sollte freie Kunst und Werkkunst vereinigt werden. Vorbild war das Handwerksideal der mittelalterlichen Bauhütten und der Gemeinschaftsgedanke.

„Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers. Gnade des Himmels läßt in seltenen Lichtmomenten, die jenseits seines Wollens stehen, unbewußt Kunst aus dem Werk seiner Hand erblühen, die Grundlage des Werkmäßigen aber ist unerläßlich für jeden Künstler. Dort ist der Urquell des schöpferischen Gestaltens.” … „Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird.”

(Aus dem Programm des Staatlichen Bauhauses Weimar 1919)

Damit ist das Zusammenwirken der einzelnen Handwerke- und Kunstbereiche gemeint. Relativ annonym und kollektiv, als Ergebnis einer Gemeinschaft, vergleichbar mit den Dombauhütten, bei denen alle bildenden Kräfte Geist und Handwerk vereinigten, um die Kathedrale entstehen zu lassen.
Willi Baumeister schreibt, dass der Begriff Kunst in dem griechischen Wort „techne” stecke, das einen Bezug zum Handwerk, im Sinne von Geschicklichkeit habe.
Geschicklichkeit ist das was heute weitestgehend als Kunst bezeichnet wird. Die Kunst des Chirurgen, des Schmiedes und vieler anderer handwerklichen Tätigkeiten mit besonderen Fähigkeiten.
Bei den Freimaurern wird die Imagination auf das Ziel, den Bau des „Tempel der Humanität” projeziert, den salomonischen Tempel, im Sinne der Menschlichkeit, der Menschenfreundlichkeit. Das Königliche an dieser Kunst ist die Menschenliebe, die Empathie, die Toleranz und die Achtung gegenüber dem Andersdenkenden, solange er sich menschenfreundlich verhält und auch selbst die nötige Achtung dem anderen gegenüber aufbringt. Das Königliche ist ein empfindungsmäßiges, geistiges Verhalten das sich entwickelt und zur Tat werden soll. Sie ist ein Fühlen, Denken und Handeln. Angelegt in den Tempelarbeiten der drei Grade durch Ort, Raum, Zeit mit Symbolen und symbolischen Handlungen die auf das konkrete Leben des Menschen bezogen sind und darüber hinaus weisen. Auf den Menschen als kosmisches Lebewesen in dessen Rhythmen und Strukturen des Mikro- und des Makrokosmos sich entfaltet, sich das menschliche Leben auf dieser Erde gestaltet.

Das Königliche an dieser Kunst ist die Fähigkeit des Menschen über sich selbst hinaus zu denken und andere dabei mit einzubeziehen. Diese Kunst verlangt Freiheit, Engagement, Nachdenken, Differenzierung, Toleranz.

Die Hingabe an die Emotion, Leidenschaft oder die Rationalität führt nicht zur Lebenskunst, sondern zu Beliebigkeit und Nihilismus.

Kunst setzt sich mit dem Unbekannten des menschlichen Seins auseinander, setzt sich in Beziehung zwischen Individuum und dem gestalteten Werk. Sie vermittelt keine eindeutigen Botschaften, wie es das Banale, der Kitsch und die Propaganda machen. Künstlerisch ist es im Bekannten das Unbekannte zu entdecken, das was über ein rationales Verständnis über den Intellekt hinaus geht und dem Gefühl begegnet, der geistigen Vorstellungen, dem Unbewussten.
Rationalität ist nur ein Teil der Realität der menschlichen Welt und wird heute oft zum Schein in den Vordergrund gespielt.

Was macht nun ein Kunstwerk aus?

Zum einen das was über Kunst und Künstler hinausweist und die Vieldeutigkeit des Werkes. In diesem Sinn ist Kunst etwas geistiges, also entmaterialisiertes, hervorgerufen durch Sehen, Hören, Fühlen im Erleben. Der Künstler fragt in und mit seinen Werken nach Sinn und Bedeutung, gibt jedoch keine Antworten. Mögliche Antworten zu finden ist Aufgabe des Rezipienten, des Erlebenden, des Betrachtenden.
Die Kunst ist ein Aspekt menschlicher Wirklichkeit im Spannungsfeld des Lebens. Hier zeigt sich der Mensch nicht nur als vernuftbegabtes Wesen, als rationales Wesen, sondern auch als ein geistig-sinnliches Wesen, das durch Natur, Kultur, Zivilisation geformt wurde und geformt wird.
Kunst ist nicht lehrbar und folgt keinen dogmatischen Lehrsätzen. Sie ist aber erfahrbar und damit auch lernbar. Sie ist eine Sache des Herzens, des Verstandes, des Gefühls, des menschlichen Geistes.
Bei der Lebenskunst geht es nicht darum eine Rolle zu lernen und zu spielen innerhalb der Fassaden des Lebens, sondern darum wahrhaftig zu sein und nicht sich selbst zu betrügen.

Wir leben in das Ungewisse hinein und versuchen es begreifbar zu machen.

Weder die Wirtschaft noch die Politik und Religion kann uns Gewissheiten vermitteln, die Wissenschaft jedoch in geringem Maß. In all diesen Bereichen überwiegt der Glaube. Der Glaube an vermutete Gewissheiten durch Statistiken und naturwissenschaftliche Erkenntnisse. Wir leben mit Ungewissheiten, was uns die Kunst besonders deutlich macht und haben eine Sehnsucht nach Gewissheit, Sicherheit und absoluter Wahrheit. Damit sinnvoll, lebensfroh und menschenfreundlich umzugehen ist das was Lebenskunst ausmacht. Dazu gehört eine Bereitschaft zur lernbereiten Verständigung in der Gemeinschaft der Bruderschaft und der profanen Welt. Den Unsicherheiten
bewusst zu begegnen, aufrechte Haltung zu zeigen und nicht unsicher zu werden was die Prinzipien der Humanität betrifft, ist wohl Lebenskunst.

Fragen über Fragen tauchen auf, in der scheinbar rational ausgerichteten Welt.

Wer kann schon ernsthaft behaupten auf folgende Fragen die Antworten zu kennen?

– Woher kommt der plötzliche Einfall?
– Wohin geht der Gedanke, wenn er gedacht ist?
– Wann, wie und warum kam der menschliche Geist in den Menschen?

Der Geist des Tieres wäre doch ausreichend, um zu leben und sich fortzupflanzen. Man weiß bis heute nicht wie aus dem Hirn der Gedanke entstehen kann. Man hat Vermutungen und glaubt zu wissen. Nach dem Astrophysiker Harald Lesch besteht der Mensch zu 92% aus der Materie der Supernova.

Und hier ergeben sich weitere Fragen zu Mensch und Universum.
Nach dem Philosophen Christoph Hauskeller charakterisiert die Kunst etwas.

„Sie stellt bislang unbemerkt Beziehungen heraus, wirft einen frischen Blick auf die Welt und entwirft sie so aufs Neue.”

Mit der Geburt eines Gedankens wird ein Neuanfang gemacht. Wenn wir an die Initiation im I° Grad denken entsteht ein solcher neuer Blick durch das Besondere, das ästhetisch-schöne Erlebnis, das man nur einmal erleben und nie wieder ungeschehen machen kann.

„Wenn es etwas gibt, wofür es zu leben lohnt, dann ist es die Betrachtung des Schönen.”

Sagt Platon. (nach Hauskeller) Platon geht davon aus, dass Schönheit eine Erfahrung ist, denn Schöheit würde die Liebe erwecken. Was wir liebend begehren sei schön. „Wären die Ideen frei von Schönheit, gäbe es keinen Anlass, sie erkennen zu wollen.” Interpretiert Hauskeller Platon. Das Schöne nimmt eine Sonderstellung ein, sei aber nur Abglanz einer ewigen Schönheit – der Idee. Das sinnlich Schöne sei anziehend und Abbild einer höheren Schönheit. Die Schönheit der Seele geht über die Schönheit der Körper und Dinge hinaus. Schön sind z.B. auch Gerechtigkeit, Wohlwollen, Mäßigkeit, Besonnenheit und andere Tugenden die auf die Seele wirken und als schön empfunden werden. Am Schönsten ist bei Platon die Idee des Schönen die mit dem Guten zusammenfällt.

Wie Schönheit wirkt hängt von der Person ab z.B. Bewundernd, Gierig, Besitzergreifend. Schönheit ist mehr als das sinnliche das wir persönlich empfinden und hat eine nicht greifbare Ausstrahlung. An der Oberfläche kann sie als Zierrat gesehen werden. Platon geht davon aus, dass die einzige Kunst deren der Mensch bedarf die rechte Kunst des Lebens sei.
Der Wert der Kunst läge darin, so Hauskeller, die Leidenschaften zu kontrollieren, tugendhaft zu leben, der Wahrheit nachzustreben. Und da sind wir wieder bei dem Zitat von Berthot Brecht und den Zitaten von Josef Beuys, die dem heutigen Kunstverständnis entsprechen. Platon geht noch davon aus, dass die Kunst etwas lehren solle. Kunst als Lehranstalt, ähnlich der Bilder und Skulpturen des Mittelalters, die das Evangelium der Kirche lehren sollten. In der Kunst gibt es, nach heutigem Verständnis, keine Lehrsätze und Botschaften die zu lernen wären, jedoch Hinweise und Anregungen denen man zustimmt oder die man ablehnt, mit oder ohne Kenntnis.

Die freimaurerischen Bildsymbole auf dem Arbeitsteppich weisen auf den Mikro- und Makrokosmos hin und auf die Fähigkeit des Menschen selbständig zu Denken und etwas aufzubauen, wie den „Tempel der Hunanität”. Hinzu kommen noch als Stützen die Säulen Weisheit, Stärke und Schönheit die in ihrem Zusammenwirken sich gegenseitig bedingen, den Tempel als Denkgebäude tragen.

Schönheit ist die Vollendung im geistigen Vermögen und Empfinden, das durch Sensibilität im Denken, Sehen, Hören, Schmecken, Riechen entsteht. Es ist ein Schönheitsempfinden das unsere Existenz durchtränkt, durchdringt. Ohne Schönheitsempfinden wäre ein zufriedenes, glückliches Leben nicht möglich. Die Vorstellung vom Schönen ist aufbauend, hoffnunggebend, motivierend und nicht zuletzt zufriedenstellend. Schönheit vollendet Weisheit und Stärke zur Lebenskunst der Freimaurer, der Königlichen Kunst. Winkelmaß, Zirkel und das Buch des heiligen Gesetzes, als Symbole, sind die Krönung dieser Kunstform, durch die individuelle Auslegung der Person, in geistiger Freiheit.

„Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sonder macht sichtbar.”

War die Auffassung von Paul Klee, die uns Kunst in ihrer Bedeutung zeigt.

Und Johann Wolfgang Goethe sagte:

„Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen.”

In diesem Sinn erleben wir auch die Tempelarbeiten der drei Grade die uns auf die irdische Existenz des „Werdens und Vergehens” hinweisen.

Die Königliche Kunst wird aus dem Leben geboren und wirkt auf das Leben.
Die Königliche Kunst, die Kunst allgemein, wendet sich an Menschen die ihr Leben erweitern und vertiefen möchten, entgegen der üblichen Gleichgültigkeit, dem Mainstream, dem Nihilismus und dem exzentrische Narzißmus. Sie wendet sich daher nur an eine geringe Zahl von Menschen.

Zum Schluss noch etwas aus dem Fessler-Ritual des ersten Grades. Es sind drei Verse aus dem lyrischen Gebet am Ende der Tempelarbeit, das die Lebenskunst der Freimaurer ausdrückt.

1.

Das Göttliche, das Kosmische spiegelt sich in der Schönheit von Strömen, Wald und Flur – also der Natur wieder.

2.

Das Siegel der Freiheit besiegelt die Freiheit der menschlichen Natur und zeichnet den Menschen aus mit der schmückenden Krone der Königlichen Kunst.

Alles ist der Schönheit Spiegel
rings in Strömen, Wald und Flur,
und es schmückt der Freiheit Siegel
hehr die menschliche Natur.
Geist der Lieb umweh die Erde,
dass das menschliche Geschlecht
eine Bruderkette werde
teilend Wahrheit, Licht und Recht.
Herr der Welten, Herr der Zeiten,
gib auf diesem Erdenrund
echte Weisheit zu verbreiten,
Stärk und Schönheit unserem Bund.
Erkennen ist die Basis des Lebens.
Das Schöne der Grund um zu leben.

Zur Kunst
„Sie zeigt, daß wenn Formen, Dinge und Vorgänge ihr eigenes Wesen zur Schau stellen, sie die tiefen, einfachen Grundkräfte wahrnehmbar machen, in denen der Mensch sich selbst erkennt.”

(Rudolf Arnheim)

Von Bruder Kurt Ausfelder

Nach oben –
___________________________________________________________________________

 

 

Freimaurerische Tugenden
Von Bruder Burkhard Birke

Für Aristoteles ist sie der Weg zur Glückseligkeit.
Frauen, die ihre Tugend bewahrten, waren Jungfrauen und galten als keusch. Tugend nannte Henry Miller die Summe der Dinge, die wir aus Trägheit, Feigheit oder Dummheit nicht getan haben – und deshalb wohl zum ewigen Unglück verdammt sind?

Treffend umschrieb damit der amerikanische Schriftsteller au jeden Fall eines:
Das menschliche Wesen und die Herausforderung, vor der ein jeder Freimaurer steht:

Die Trägheit, Feigheit und Dummheit zu überwinden.

Man könnte es auch die Arbeit am rauhen Stein nennen. Ist jedoch im Umkehrschluss derjenige, der nicht träge, feige und dumm ist, schon tugendhaft und ein guter Freimaurer?

Keineswegs.

Was ist denn aber tugendhaftes Verhalten?
Wie lasst sich Tugend definieren oder umschreiben?
Wonach sollten wir Freimaurer streben?

Natürlich ist es sinnvoll, existierende Definitionen von Tugend aus philosophischer, religiöser, geschichtlicher Dimension darzustellen und zu hinterfragen.
Nach Meinung des britischen Schriftstellers George Bernard Shaw haben die sieben Todsünden in der Welt nicht so viel Böses angerichtet wie die sieben Todtugenden. Damit wird klar, dass es letztlich eine Frage der Perspektive und der Werte ist. Die jeweilige uns innewohnende Wertvorstellung bestimmt, ob wir ein Verhalten als tugendhaft oder als Laster, bzw. Sünde wahrnehmen. So kann ein religiöser Fanatiker als Selbstmordattentäter aus Sicht der Anhänger seiner Religion durchaus tugendhaft handeln, obwohl der Mord an einer Vielzahl Menschen von anderen als Sünde, gar Todsünde wahrgenommen werden kann.

Was ist mit dem Tyrannenmord?
Hatten die Hitlerattentäter die Welt nicht von großem Übel befreit, obwohl Mord nicht als tugendhaft angesehen wird?

Wer oder was bestimmt also, was gut, was böse, was tugend- oder lasterhaft ist?

Diese philosophische, meta-physische Frage und die möglichen Antworten darauf sind meines Erachtens von fundamentaler Bedeutung, wenn man über Tugenden spricht.
Im Folgenden möchte ich mich der Tugend aus freimaurerischer Perspektive anhand von sieben Thesen nähern:

These 1:
Es gibt keine freimaurerischen Tugenden an sich,
sondern nur solche, die Freimaurer besonders beherzigen

These 2:
Tugend entspringt einer Wertvorstellung

These 3:
Unser Wertekatalog ist religiös-, verhaltens- sowie gewissensbestimmt

These 4:
Tugend ist keine Eigenschaft an sich, sondern der Reflex einer Geisteshaltung in Taten

These S:
Es ist einfacher Tugend negativ abzugrenzen:

Was ist laster- oder sündhaft, nicht tugendhaft?

These 6:
Für Freimaurer bedeutet tugendhaft zu Werden, Arbeit am rauhen Stein

These 7:
Die mit der Tugend verbundenen Werte sind die Werte, die die Weltbruderkette vereinen.
Ein Blick in Lexika und eine Surf-Tour im Internet produziert eine Fülle an Urnschreibungen und Definitionen für den Begriff Tugend.

Ziel dieser Arbeit kann dabei natürlich nicht ein Neuheitswert sein, das Rad kann nicht neu erfunden werden. Es wäre gerade zu vermessen, sich an einer Definition des Begriffes Tugend mit den Philosophen und Theologen zu messen.
Im Folgenden kann es also nur darum gehen, den Begriff aus seiner philosophisch historischen Dimension heraus abzuleiten und anhand der sieben Thesen in unser freimaurerisches Wirken einzubetten.

Tugend Begriffsbestimmung
Im Deutschen ist das Wort Tugend von taugen abgeleitet, bedeutet also die Tüchtigkeit, Tauglichkeit einer Person. Im Althochdeutschen ist um das jahr 1000 das Wort Tugend in eben jener Bedeutung zu finden. Im Mittelhochdeutschen wurde dann tugunt auf männliche Tüchtigkeit, auf Heldentaten bezogen, nahm aber unter dem Einfluss der theologischen und philosophischen Literatur aus dem Lateinischen und Griechischen zunehmend die Bedeutung der sittlichen Vollkommenheit als Gegensatz zur Sünde im christlichen Sinne an.
Virtus ist das lateinische Wort, das von „Vir“ (Mann) abgeleitet ist und somit Mannhaftigkeit bezeichnete. Im philosophischen Sprachgebrauch wurde Virtus, virtutes benutzt, um Eigenschaften zu bezeichnen, die im Rahmen sozialer und ethischer Wertvorstellungen als wünschenswert galten.

Im Altgriechischen existiert der Ausdruck arete. Er wird, was nicht unproblematisch ist, mit Tugend übersetzt, denn arete kann auch einfach nur die Tauglichkeit im nicht philosophischen Sinn bedeuten.
Sokrates allerdings verwandte den Begriff arete als Gesinnung, die auf die Verwirklichung moralischer Werteausgerichtet ist. Er hob vier Tugenden hervor:

Gottesfurcht, Enthaltsamkeit, Tapferkeit, Gerechtigkeit.

Platon sprach von Weisheit, Mäßigung, Tapferkeit und Gerechtigkeit, Tugenden, die im englischen Ritual und dem der GLL als Kardinaltugenden aufgeführt werden.
Das unterstreicht, wie sehr das Denken im 18. Jahrhundert, dem Zeitpunkt der Entstehung der modernen Freimaurerei, von der griechischen Philosophie insbesondere der Stoa beeinflusst war.
Den vier Katdinaltugenden fügte Augustinus noch drei hinzu:

Glaube, Hoffnung, Liebe, die Bestandteil der christlichen Sittenlehre geworden sind.

Der Freimaurer Friedrich der Große forderte sieben preußische Tugenden:

Unbestechlichkeit, Sparsamkeit, Fleiß, Pflichtbewusstsein, Bescheidenheit, Gemeinsinn,
Toleranz.

Es existieren auch andere Formen der Tugenden, etwa die des ehrbaren Kaufmanns: Arbeitslust, fachliches Können, Ehrlichkeit, Sauberkeit (in Denken und Tun),
Ordnungsliebe, Pünktlichkeit, Sparsamkeit.

Soweit ein kleiner Überblick über den Begriff Tugend, der im Zuge der Analyse anhand der sieben Thesen nun vervollständigt werden soll.

These 1:
Es gibt keine freimaurerischen Tugenden an sich, sondern nur solche, die Freimaurer besonders beherzigen

Gibt es freimaurerische Tugenden?

Ist es sinnvoll von freimaurerischen Tugenden zu sprechen?
Die GLL z.B. zählt in ihren Akten sieben freimaurerische Tugenden auf:

Mäßigkeit, Standhaftigkeit, Arbeitsamkeit, Redlichkeit, Verschwiegenheit, Vorsichtigkeit, Barmherzigkeit.

Dennoch wäre es falsch, diese sieben Eigenschaften als spezifisch freimaurerische Tugenden zu bezeichnen. Es sind sehr wohl Tugenden, die in diesem Fall die GLL in einer Hierarchisierung als die bedeutendsten Tugenden für ihre Mitglieder kategorisiert.

Dennoch gibt es natürlich nicht Tugenden von Freimaurern speziell für Freimaurer geschaffen!

Laut dem Freimaurerlexikon Lennhoff, Posner, Binder von 1932 ist Tugend die Übung im Sinne der Pflicht, der auf das Sittliche gerichtete konstante Wille. Ihr Inhalt ändert sich mit den Wandlungen der Moral: Was Moral ist, wird von unserem Wertesystem bestimmt!
Bei den Stoikern ist sie das naturgemäße Leben. Im Christentum – wie erwähnt – Glaube, Liebe, Hoffnung.
Descartes spricht vom Willen zum Vernunftmäßigen.
Nach Kant ist die Tugend „die moralische Stärke in Befolgung seiner Pflicht, die niemals zur Gewohnheit werden, sondern immer ganz neu und ursprünglich aus der Denkungsart hervorgehen soll.“

Diese Umschreibungen implizieren: Tugend ist alles als ein starrer, fest vorgegebener Begriff, mit Alleininterpretationsanspruch durch eine Gruppe von Menschen, in diesem Fall den Freimaurern.

Der Dialog, den Lessing in seinen bekannten Freimaurergesprächen, den Suchenden Ernst mit dem Freimaurer Falk führen lässt, unterstreicht dies.
Nachfolgend füge ich einen längeren Ausschnitt zur Illustration bei, um argumentativ daraufzurückzugreifen.

Ernst: Und könntest du denn wissen, was du weißt, ohne aufgenommen zu sein?

Falk: Warum nicht? – Die Freimäurerei ist nichts Willkürliches, nichts Entbehrliches, sondern etwas Notwendiges, das in dem Wesen des Menschen und der bürgerlichen Gesellschaft gegründet ist. Folglich muss man auch durch eignes Nachdenken ebensowohl darauf verfallen können, als man durch Anleitung daraufgeführet wird.

Ernst: Die Freimäurerei wäre nichts Willkürliches? –
Hat sie nicht Worte und Zeichen und Gebräuche, welche alle anders sein könnten und
folglich willkürlich sind?

Falk: Das hat sie. Aber diese Worte und diese Zeichen und Gebräuche sind nicht die Freimäurerei.

Ernst: Die Freimäurerei wäre nichts Entbehrliches? –
Wie machten es denn die Menschen, als die Freirnaurerei noch nicht war?

Falk: Die Freimäurerei war immer.

Falks Worte: „Die Freimäurerei ist nichts Willkürliches, nichts Entbehrliches, sondern etwas Notwendiges, das in dem Wesen des Menschen und der bürgerlichen Gesellschaft gegründet ist. Folglich muss man auch durch eignes Nachdenken ebensowohl daraufverfallen können,
als man durch Anleitung darauf „geführet Wird“, unterstreichen doch, dass im Grunde jeder Mensch Freimaurer im Geiste sein kann. Wenn Tugend als Geisteshaltung, als Sinn für Moral, Sittlichkeit und Anstand verstanden wird, dann ist eine solche Geisteshaltung nicht allein Freimaurern vorbehalten. Der Unterschied liegt darin, dass sich Freimaurer intensiver und gezielt mit diesen Fragen befassen, sich Tugend(-en) als Ziele vorgeben, um exemplarisch zu leben.

2. These: Tugend entspringt einer Wertvorstellung
Ein Blick ins philosophische Wörterbuch fördert – in Ergänzung zu den bereits aufgeführten Begriffsbestimmungen wie etwa der von Kant, dass Tugend die moralische Stärke in Befolgung der Pflicht ist, – die verschiedensten Definitionen hervor: Nach Schiller ist Tugend ein freudiges Gehorchen der Sittengesetze, laut Krug sittliche Vervollkommenheit, Eschenmayer erklärt:

Die Tugend ist der durch sich selbst potenzierte Wille oder das Gute im Guten!

Auch Aristoteles umschreibt in seiner Nikomachischen Ethik die Tugend als das Gegenteil von Schlechtigkeit; Tugenden werden zu Eigenschaften, die neben Fähigkeiten und Leidenschaften sozusagen Bestandteile der menschlichen Seele bilden. Aristoteles geht dabei einerseits von dianoetischen, also Verstandes- und andererseits von Charaktertugenden aus.
Die entscheidende Frage bleibt dabei:
Was ist sittlich? Was ist gut? Was ist böse?
Wer bestimmt somit, wer oder was tugendhaft ist?

These 3: Unser Wertekatalog ist religiös-verhaltens- sowie gewissensbestirnmt

Aristoteles kommt zu dem Schluss, dass Tugenden Eigenschaften sind, die auf einen Punkt zielen, der von Übermaß und Mangel gleich weit entfernt ist. Eine Gratwanderung also, unter Ablehnung von Exzessen, gerichtet auf die Mitte. Das Mittelmaß (natürlich nicht als mittelmäßig) als Maß aller Dinge, um eine Harmonie zu erreichen?

Aristoteles spricht auch vom Genussleben, das der reinen Lust gilt, von dem politischen Leben, sozusagen für die Ehre und Anerkennung, und vom theoretischen Leben, dem der Erkenntnis, das er für das eigentlich erstrebenswerte hält!

Ist es nun tugendhaft, in all diesen Bereichen, vor allem aber im theoretischen Leben, das rechte Maß der Dinge zu finden?
Wer jedoch definiert den Maßstab?

Was für den einen exzessiv, ist für den anderen nicht einmal Mittelmaß.
Formal argumentierend könnte man sagen:
Das Gesetz ist das Maß aller Dinge, es steckt den Rahmen der Tugend ab. Wer sich, und das geloben Freimaurer, gesetzestreu verhält, handelt tugendhaft.

Religiös wären die zehn Gebote relevant, wobei Zyniker sagen: Moses sei nur auf den Berg geklettert, und habe reflektiert, welches die zehn Regeln sind, die ein friedliches, harmonische Miteinander ermöglichen.

Gleich wie:

Die zehn Gebote sind zweifelsohne ein Maßstab für Tugend, allein durch die Sozialisierung.

Auch wenn Wissenschaftler nach wie vor darüber streiten, wieviel von unserem Verhalten angeboren, wieviel anerzogen und von der Umwelt, dem sozialen Umfeld geprägt ist, so beweisen offenbar die neuesten Forschungsergebnisse der Neurobiologie, dass es in Babys einen gewissen Grad der Empathie, aber auch einen Sinn für Moral und Sittlichkeit gibt. Man könnte letzteren wohl auch Gewissen nennen.
Dass gerade der Überlebensinstinkt im Menschen stark ist, ihn sogar in Notsituationen töten lässt, bleibt unbestritten – ebenso wie die Tatsache, dass ein solches Verhalten wohl kaum als tugendhaft durchgehen würde.
Mit zunehmendem Alter wird ein Mensch in die Lage versetzt, kognitiv zu erfassen und sein Verhalten ethisch zu reflektieren. Er wird mit den Konsequenzen seines Handelns konfrontiert, denn

These 4: Tugend ist keine Eigenschaft an sich, sondern der Reflex einer Geisteshaltung in Taten

An dieser Stelle möchte ich noch einmal Lessings Dialog von Ernst und Falk zitieren.

Ernst: Sonderbar! Da also selbst die Freimäurer, welche das Geheimnis ihres Ordens wissen, es nicht
wörtlich mitteilen können, wie breiten sie denn gleichwohl ihren Orden aus?

Falk: Durch Taten. Sie lassen gute Männer und Jünglinge, die sie ihres nähern Umgangs würdigen, ihre Taten vermuten, erraten, sehen, soweit sie zu sehen sind; diese finden Geschmack daran und tun ähnliche Taten.

Ernst: Taten? Taten der Freimäurer? Ich kenne keine andere als ihre Reden und Lieder, die meistenteils schöner gedruckt als gedacht und gesagt sind.

Nicht die Gesinnung gibt also den Ausschlag. Die Taten müssen den Beweis für eine Geisteshaltung liefern, die das Attribut tugendhaft verdient.
An ihren Taten sollt Ihr sie erkennen!
Gesinnungsethik muss im Sinne Max Webers durch Verantwortungsethik ersetzt werden.
Freimaurer sollen Vorbilder sein. In diesem Sinne könnte man Freimaurerei auch als eine sittliche Haltung umschreiben, die sich in Taten widerspiegelt. Man könnte sogar so weit gehen, die Freimaurerei selbst als eine Tugend zu bezeichnen, vorausgesetzt sie wird nicht nur – wie Ernst im Dialog mit Falk hinterfragt – in Reden und Liedern praktiziert, sondern die Geisteshaltung wird im wahrsten Sinne des Wortes in die Tat umgesetzt.

These 5:
Es ist einfacher Tugend negativ abzugrenzen:
Was ist laster- oder sündhaft, nicht tugendhaft?

Du darfst nicht töten, Du darfst nicht Ehe brechen…… Wer sich an die zehn Gebote hält, gilt als tugendhaft. Ohne Zweifel sind die zehn Gebote Regeln zum Zusammenleben von Menschen, die, sofern respektiert, helfen, Konflikte zu vermeiden. Wer dagegen verstößt, handelt nicht tugendhaft. Von daher ist es leicht zu definieren: Ein Sünder ist nicht tugendhaft, die Nutte ist nicht tugendhaft, der Ehebrecher ….

Alle Handlungsvarianten, die nicht einer gewissen gesellschaftlichen Norm entsprechen, werden als nicht tugendhaft klassifiziert.

Nur: Gesellschaften variieren auch in ihren Geboten und Verboten. So ist es wohl nicht tugendhaft, wenn eine Frau in Saudi Arabien am Steuer eines Fahrzeugs sitzt. Kurzum: Leicht ist die Abweichung einer Norm als nicht tugendhaft abzustempeln. Jedoch die tiefergehende Frage wird im Alltag stets ausgeklammert:

Es ist die Frage danach: Wer legt denn eigentlich unsere Gebote, Verbote fest?

In westlichen Demokratien tun dies die Parlamente als Gesetzgeber. Sie sind die gewählten Repräsentanten des Volkes und als solches repräsentieren sie zumindest nach außen eine gewisse Mehrheitsmeinung, obwohl jeder einzelne Abgeordnete natürlich nur seinem Gewissen verpflichtet ist.
In autokratischen Staaten indes, und dazu würde ich persönlich Saudi Arabien zählen, wird die Norm, wird die Tugend von einem, bzw. mehreren Herrschern bestimmt.
Eine Abgrenzung von tugendhaften und nicht tugendhaftem Verhalten ist von daher rein äußerlich, oberflächlich und ist maßgeblich getragen vom jeweiligen Werte und letztlich auch Gesellschafts-/ und Re-gierungssystem.

These 6:
Für Freimaurer bedeutet tugendhaft zu sein, Arbeit am rauhen Stein

Verschiedene Richtungen der Freimaurerei stellen bestimmte Tugenden mehr in den Vordergrund als andere. Allein, um einen Unterschied zu suchen?
Letztlich verbindet doch alle Freimaurer der gleiche Wertekanon. Die Tugend ist die Art und Weise wie an der Verwirklichung, an der real physischen Umsetzung dieses Wertesystems im Alltag gearbeitet wird. Tugend charakterisiert das Verhalten. Es orientiert sich, maurerisch gesprochen, an Zirkel und Winkelmaß:

Im rechten Winkel, mit dem richtigen Maß, der richtigen Distanz zum jeweils Nächsten.

Und immer im Ziel, sich selbst zu verwirklichen, seinen rauhen Stein zu glätten. Letztendlich ist die Freimaurerei ein sehr individueller Prozess, der im Kollektiv, in der Solidarität, der Brüderlichkeit einfacher zu gestalten ist.
Wie in der Fabel des Vaters, der seine fünf Söhne ans Sterbebett ruft und bittet ihm ein Hölzchen zu geben. Er zerbricht es mit Leichtigkeit. Danach fragt er nach fünf Hölzchen:

Er kann sie nicht zerbrechen. Gemeinsam sind wir stark, bzw. stärker. Und vielleicht ist es so, dass einige Freimaurer ihren rauhen Stein auf bestimmten Gebieten mehr glätten müssen als auf anderen, was die Fokussierung auf unterschiedliche Tugenden erklärt. Letztlich ist und bleibt auch die Tugend doch nur das Streben danach ein besserer Mensch zu werden, danach seinen rauhen Stein zu glätten.

These 7:

Die mit der Tugend verbundenen Werte sind die Glieder, die die Weltbruderkette im Geiste

Dschihadisten sind vereint in ihren Kampf gegen die Unglaubigen. Die Kreuzritter waren es ebenfalls.

Wer ungläubig war, bzw. ist:
Das ist die alles entscheidende Frage!?
Woran glauben wir Freimaurer?

Ich brauche wohl nicht zum X Male die Grundwerte hier aufzuzahlen. Wohl aber scheint wichtig, die Charakteristika in Erinnerung zu rufen:

Wir unterscheiden nicht nach Religion, nach Hautfarbe,
nach Rasse ….Wir sind und bleiben offen.

Warum?
Weil uns die Werte wie – und jetzt muss ich zumindest die Toleranz noch einmal nennen – verbinden. Sie halten die Weltbruderkette zusammen und bilden die weltumspannende gemeinsame Basis. Sie gibt Dir das Gefühl der Heimat, der Geborgenheit in der Fremde.
Das Streben nach der Realisierung unserer gemeinsamen Werte:

Das bedeutet duch letztendlich tugendhaft zu sein.

So lasst uns, geliebte Brüder, doch gemeinsam tugendhaft sein:
Jeder auf seine Weise, nach seinen Möglichkeiten und jeder nach seinen Bedürfnissen.

Von Bruder Burkhard Birke

Nach oben –

 

Kann es eine aufgeklärte Religion geben?

Von Bruder Hermann-F. Kramer

Das Thema scheint nur auf den ersten Blick vorrangig religiös. Es führt vielmehr mitten hinein in das Dilemma des modernen Menschen. Ich stelle den Lösungsversuch der humanitären Freimaurerei vor, die Metapher vom Großen Baumeister aller Welten.

Jahrtausende lang haben sich die Menschen durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgemeinschaft und dem in ihr verwurzelten Weltbild definiert. Und da dieses Weltbild auch die Reichweite und den Erfahrungsschatz beinhaltete, der in der jeweiligen Gemeinschaft verwahrt und überliefert wurde, war das Weltbild regelmäßig eingebettet in eine Legende von der Entstehung und Aufgabe gerade dieser Volksgemeinschaft, vom Verhältnis des Volkes zu seinen Nachbarn und von der Wichtigkeit der Aufgabe gerade dieses Volkes in der Welt und im gesamten Kosmos.

Natürlich hatten sie alle Recht jedenfalls solange, bis ein noch mächtigeres Volk dieses Volk unterwarf und ihm seine Legenden und Götter aufdruckte, die natürlich schon deshalb mächtiger, wichtiger und wahrer waren, weil der Glaube an sie zum Sieg geführt hatte. So wurde aus der Suche nach der Wahrheit, aus der Suche nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält, die Frage nach der Macht. Die Wahrheit musste nicht mehr gesucht und errungen werden, sie wurde mitgebracht, und ganz sinnbildlich säumten die Köpfe der Unterlegenen die Straßen der Sieger. Sieh`ste, das hast Du nun davon, dass Du einer unterlegenen Legende, einer unterlegenen Wahrheit, einem unterlegenen Volk angehört hast. Nur ganz wenige Völker mit sehr dynamischen Legenden schafften es, ihre Weitsicht auch unter dem Diktat fremder Hoheit, eingewoben in die Dialektik fremder Obersätze, beizubehalten und ihre Legenden sogar innerhalb dieser „Sklavensprache“ fortzuentwickeln.

Doch bevor wir zu diesem Kern unserer Betrachtung weiter voranschreiten, lassen Sie uns noch einen Moment innehalten und uns den Ausgangspunkt unserer heutigen Fragestellung kurz reflektieren.

Der Moloch des Weltmarktes, die unaufhaltsame Globalisierung eines von Krise zu Krise voran humpelnden Weltkapitalismus, hat die „kleinen“ Legenden nationalistischer Ideo-logien fast alle gefressen. Was bleibt, ist ein bisschen Nordkorea, ein bisschen Weißrussland, ein bisschen großrussischer Bär und die eine oder andere Dschungelparole, an deren Ohr die Allmacht des Weltmarktes noch nicht gedrungen ist. Nein im Großen und Ganzen betrachten wir die Welt von draußen, von der internationalen Raumstation aus mit internationalen Besatzungen und internationaler wissenschaftlicher Diktion.

Allein die großen Weltreligionen behaupten hartnäckig ihren Standort gegenüber dem zu einer weltumspannenden Ideologie erstarkten wissenschaftlichen Naturalismus. Auf den ersten Blick erscheint es so, als gäbe es nur die Möglichkeit, sich entweder auf die naturalistisch-materialistische Seite zu schlagen oder auf die idealistisch-religiöse Seite. Deine Rede sei ja, ja, nein, nein, und was drüber ist, das ist von Übel!

Sind wir wirklich in dieser Dichotomie befangen?

Gibt es wirklich nur die Aufklärung auf der einen und die Religion auf der anderen Seite?

Herr Ober, bitte eine Runde für alle!

Ich habe das Thema gut gewählt, wir sind schon fertig!

Natürlich nicht. Wenn ich der Auffassung wäre, dass eine aufgeklärte Religion gar nicht gedacht werden kann, dann hätte ich dieses Thema allenfalls für eine Glosse, nicht aber für einen Abend füllenden Vortrag vorgeschlagen. Denn es gibt mindestens eine Möglichkeit, die beiden Enden der Dichotomie zusammen zudenken, und ich möchte Ihnen heute Abend den speziell freimaurerischen Versuch vorstellen, dies zu tun.

Wir alle – Sie, ich, wir Freimaurer, sie Gäste, und alle anderen Menschen natürlich auch – wir alle stehen mit beiden Beinen fest auf dem Erdboden, sind in unseren Gemeinschaften verwurzelt und lassen uns kein X für ein U vormachen. Wir brauchen nicht den wolkigen „Schnulli“, den uns die Esoteriker als eine Welt neben der für uns sichtbaren Welt vor-machen wollen.

Richtig so!
Also angepackt!

Aber halt diese Sichtweise wirklich einer näheren Betrachtung stand?

Was ist es denn, das wir sehen?

In unseren Augen spiegeln sich nicht die Gegenstände selbst, sondern nur ihr Widerschein, das durch sie gebrochene Licht, das als Reflektion unser Auge erreicht.
Dieses gebrochene Licht wird im Gehirn zusammengesetzt nach Konstruktionen, die unser ererbter und erworbener Erfahrungsschatz für uns bereithält. So hat eine ganze Welt Platz in einem Gehirn, das kaum größer als eine Faust ist.

Und das soll eine exakte Wiedergabe, sozusagen eins zu eins, gewährleisten?

Es fängt schon bei den Instrumenten unserer Wahrnehmung an, je weiter die Physik fort-geschritten ist, desto mehr Gegenstände wurden gefunden, die wir mit unseren Sinnen nicht wahrnehmen können. Aber die Physiker haben uns nachweisen können, dass diese Dinge trotzdem existieren, materiell wirksam sind und manchmal sogar lebensbedrohlich, wie die Millionen Opfer von Radioaktivität schmerzlich erleiden mussten. Nein – unsere durch die Evolution gebildeten Sinne sind für eine ganz spezielle Überlebensstrategie entwickelt und sogar durch sie weiterentwickelt worden. Sie geben uns genau den Ausschnitt der Wirklichkeit wieder, den wir hier und heute benötigen, um uns in diesen, Lebenszusammenhängen bewegen zu können.

Aber Trugbilder sind nicht ausgeschlossen. ein falscher Schatten oder eine irrige Erinnerung, vielleicht sogar die Kombination von beidem, und schon sind wir der festen Überzeugung etwas gesehen zu haben, das es in Wirklichkeit gar nicht oder doch jedenfalls nicht in dieser
Erscheinungsform gegeben hat. Wir Juristen nehmen als beliebtestes Beispiel hierfür den sogenannten Knallzeugen, der sich durch den Knall des Unfalls erst zum Geschehen um-gedreht hat, dann aber in Sekundenbruchteilen aus dem gesehenen Ergebnis nach seinen Erfahrungswerten den Hergang zusammensetzt, der zu diesem Ergebnis geführt haben könnte. Wieviel Mühe bereitet es später im Prozess, diesem Zeugen vor Augen zu führen, dass er nicht Dinge gesehen haben konnte, die nach einer unwiderlegbaren Zeitachse längst geschehen sein mussten, bevor er sich umgedreht hatte.

Aber so arbeitet unser Gehirn. Es ist eine ganz und gar unzulängliche Einrichtung, aber die beste, die wir zur Verfügung haben, und soweit wir wissen, auch die beste, die das Universum bislang hervorgebracht hat. Vielleicht kommen ja eines Tages ein paar grüne Männchen und zeigen uns, dass das Universum noch zu weit mehr in der Lage ist, aber wir wollten ja nicht über „Schnulli“ reden.

Der Sinn dieser Vorrede ist es vielmehr aufzuzeigen, dass auch unser Gehirn, das gerade wir als aufgeklarte Menschen für den höchsten Ausdruck unserer Identität halten, auch nur ein Organ ist, dessen Resultate mit einer gehörigen Portion Skepsis betrachtet werden sollten.

Dieses Gehirn arbeitet auf Feldern, die außerhalb unseres Erfahrungsschatzes oder doch zumindest an dessen Rändern liegen, mit sogenannten Metaphern. Eine solche Metapher ist zum Beispiel der Urknall. Niemand ist dabei gewesen. Niemand kann heute sehen, und schon gar nicht hier auf der Erde, dass das gesamte Universum angeblich fortlaufend weiter auseinanderstrebt. Das sind gedankliche Konstruktionen, die auf komplizierten Berechnungen beruhen. Und die Interpretation dieser Berechnungen spaltet die Gemeinde der wenigen Gelehrten, die sie verstehen, in mindestens zwei Lager, die Befürworter und die Gegner, nicht zu vergessen die vielen Vertreter der dazwischenliegenden Ja-Aber-Lager.

Doch die durch die verschiedenen Sichtweisen entstandenen Lager besagen ja nicht, dass es das physikalische Problem einer Entstehungsgeschichte des Universums nicht gäbe. Selbst wenn wir es uns als eine Blase vorstellen, die aus einem noch größeren Universum herausgeteilt worden wäre oder als eine grüne Wiese, auf der ganz viele niedliche Universen wachsen, so sind dies doch nur verschiedene Metaphern, deren Ausgestaltung wir uns von einem vermeintlich sicheren Fundament unserer Erfahrungssätze aus allmählich annähern.

In ähnlicher Weise ist auch die Evolutionstheorie zunächst einmal eine Metapher. Wir erken-nen bei der Beobachtung unserer vorfindlichen Welt und der prähistorischen Funde ein Untergehen bestehender und ein Hervorkommen neuer Arten jede sich durchsetzende
neue Art hat in ihrem Umfeld eine oder mehrere besondere Fähigkeiten, die sich als Vorteil bei der Nutzung der verfügbaren Ressourcen erweisen. Dies bezeichnete Darwin mit der Metapher „The Survival of the Fittest“ (das Überleben der Bestangepassten).
Damit war aber noch gar nichts ausgesagt über den inneren Zusammenhang dieses Prozesses selbst.

Gab es einen bloß zufälligen Verlauf gestreuter Mutationen?
Oder waren diese Mutationen vielleicht sogar durch äußere Prozesse hervorgerufen oder doch zumindest beeinflusst?

Und wodurch veränderten sich die äußeren Prozesse so, dass eine Anpassung erforderlich wurde?

In einem allerdings war die von Darwin aus gewissenhafter Beobachtung heraus entwickelte
Metapher revolutionär. Sie wendete sich gegen ein damaliges Verständnis von einer ein für alle Mal von einem Schöpfergott fertig gestellten und unabänderlichen Welt, in der Alles und Alle eine von vornherein festgefügte Bestimmung haben sollten. Gerade Darwin, der Theologe war, litt selbst am Meisten unter der Konsequenz seiner eigenen, unabweislichen
Beobachtung. Er war aber zu wenig Philosoph, um die von ihm als unabänderlich geglaub-ten theologischen Dogmen seiner naturwissenschaftlichen Erkenntnis anpassen zu können.

Aufgrund derartiger, scheinbar unauflösbarer Widersprüche sind häufig an den Zipfeln der Wahrheit Imperien errichtet und Religionen gestiftet worden. Jeder hat seine Wahrheit als die alleinseligmachende verteidigt, den Vertretern der Gegenmeinung die Köpfe eingeschlagen oder abgehackt, bis irgendwann der ganze Spuk wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen ist. Das brauchen wir nicht, und hoffentlich
können wir es für die Zukunft verhindern. Wir sind keine Zipfelstürmer, die einen kleinen Zipfel der Wahrheit, ein kleines Licht zur großen Erleuchtung aufblasen müssen. Wir sind nicht bereit, den kleinen Ausschnitt der Wahrheit, den uns ein Imam oder irgendein anderer
Priester als das ganze Wort Gottes zu verkaufen versucht, zur Leitschnur unseres Lebens zu machen.

Ich jedenfalls bekenne mich in diesem Sinne als ungläubig!

Bleibt mir vom Halse mit so einem Dogma!

Aber mit der Zurückweisung einer aufgestülpten Religion ist ja nicht die Frage erledigt, die zur Herausbildung dieser Religion oder letztendlich aller Religionen geführt hat. Weil wir die Frage vorfındlicher Religionen aber nicht vorsichtig suchend aufdröseln können, ohne zumindest irgendeine dogmatische Position irgendeiner Religion vorauszusetzen, beginnen wir Freimaurer ganz vorsichtig ebenso wie bei den anderen „großen“ Fragen, die keiner Beobachtung zugänglich sind, mit einer Metapher. Das ist das gedankliche Konstrukt, das wir Freimaurer als den Großen Baumeister aller Welten bezeichnen, der in mancher Hinsicht und von manchen Obedienzen auch als Dreifach Großer Baumeister aller Welten bezeichnet wird.

Warum Dreifach?

Zunächst einmal ist die 3 eine sehr häufig in zahlensymbolischen Zusammenhängen auftau-
chende Zahl, die oft den Urgrund oder Ausgangspunkt bezeichnet. So ist das Dreieck die Fläche mit der geringsten Anzahl an Ecken (ein „Zweieck“ ist bekanntlich nur eine Gerade). Sodann ist die Dreizahl in der Pythagoreischen Philosophie aber auch das Sinnbild der Dialektik, in der aus dem Gegensatzpaar von Thesis und Antithesis die Synthesis, die Einheit der Widersprüche wird.
Schließlich kennen wir die Dreizahl aus der sogenannten Heiligen Dreifaltigkeit. Diese ist aber bei uns Freimaurern nicht gemeint. Die Dreifachheit in unserer Metapher vom Großen Baumeister bezeichnet zum ersten die unendliche Kraft, die allem Existierenden zugrunde liegt. Es ist das, was unser Bruder Goethe mit den Worten bezeichnet hat, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Entstehungsgeschichtlich ist es vergleichbar mit dem Urknall des Universums, nur dass die in der Dreifachheit angesprochene immerwährende und überall vorfindliche Kraft keine zeitliche Dimension besitzt. Sie ist in jedem Licht, in jedem Atom, in jedem von uns. „Energeia“ sagten die alten Griechen dazu, „was darinnen wirkt“, und wir haben in unserem Sprachgebrauch das Wort Energie daraus abgeleitet.
Dass diese überall vorfindliche Kraft die erste Erscheinungsform des großen Baumeisters ist, kann niemand leugnen, mag er sich etwas vollkommen Naturwissenschaftliches darunter Vorstellen oder etwas vollkommen Religiöses.

Die zweite Erscheinungsform des Großen Baumeisters ist der Raum bzw. genauer die Raumzeit, in welche hinein sich die gerade eben genannte, überall vofindliche Kraft ver-breitet. ln räumlicher Hinsicht ist dies leicht vorstellbar, denn z. B. der Lichtstrahl muss ja
irgendwo hin. Es gibt keine Kraft, die im Nirgendwo wirken könnte. In zeitlicher Hinsicht ist das schon etwas schwerer vorzustellen. Auch hier ist zwar offenkundig, dass zwischen Ursache und Wirkung zumindest eine sogenannte logische Sekunde bestehen muss. Aber wie soll man sich das vorstellen, wenn der Raum unendlich ist und die Zeit bis in alle Ewigkeit reicht?

Und dann stehen beide auch noch im Verhältnis zueinander.

Es gibt also einen Raum, in dem wir uns bewegen können, und einen Ablauf, den wir als Zeit bezeichnen. Dass beide miteinander zusammenhängen, hat Einstein mit seiner Relativitätstheorie bewiesen. Und die Heisenberg`sche Unschärferelation hat noch einen draufgesetzt und aus der Wellencharakteristik jeglicher Materie die prinzipielle Unzulänglichkeit physikalischer Messungen abgeleitet. Aber ich will Sie nicht mit Fragen der Quantenphysik quälen, die ich selbst nur in Ansätzen verstanden habe. Vereinfacht können wir es uns so vorstellen, dass die unendliche Kraft sich in Wellenform ausbreitet und auf vorgegebenen Bahnen in Raum und Zeit verwirbelt, so wie wir z. B. Hoch- und Tiefdruckgebiete auf einer Wetterkarte veranschaulicht bekommen. Diese Ausbreitung hat eine räumliche und eine zeitliche Komponente, die zusammen die zweite Ebene des Großen Baumeisters bilden.

Die dritte Komponente ist schließlich das, was als Ergebnis am Ende herauskommt, alle Geschöpfe der unendlichen Kraft in unendlicher Zeit und unendlichem Raum. Die Verwirbelungen der unendlichen Kraft fangen mit ihrer eigenen Schwere die Energie ein, die sich als Proton im Kern und als Elektron in der Hülle eines Atoms befindet. So wirkt die im Ausgangspunkt schöpfende Kraft in den Geschöpfen weiter. Aus den einfachsten Atomen werden verdichtete Atome, aus den verdichteten Atomen Verbindungen, aus den Verbindungen Kohlenstoffe und organisches Leben, aus dem organischen Leben schließlich die Tierwelt und an deren Ende die bisherige Krone der Schöpfung, wir. Diese Geschöpfe sind das Gegenteil der Unendlichkeit, ein schon deshalb zwingend vergänglicher Zustand im hier und jetzt. Wir selbst sind also Teil der dritten Ebene des großen Baumeisters, und alle drei
Ebenen fassen wir Freimaurer unter dem Großen Baumeister zusammen.

Das ist insoweit noch rein naturwissenschaftlich.

Aber wir sprechen ja von dem Großen Baumeister aller Welten. Wir meinen also nicht nur die physikalische Entstehung der Welt, sondern auch etwas darüber hinaus. Diese weitere Dimension der Dreizahl deutet sich für uns Freimaurer schon an in den drei Graden der
Freimaurerei. Die Menschheit befindet sich insgesamt auf einem Weg der Herausbildung von Moralität, an der wir Freimaurer in der uns eigentümlichen Weise teilnehmen. Die allgemein menschliche Moralitat entwickelt sich im Rahmen gesellschaftlicher Verhältnisse.
Im Prozess der Geschichte entwickeln sich Vorstellungen menschlichen Miteinanders, die als Postulate der Verlässlichkeit in gesetzliche Vorschriften formuliert werden.

Doch es sind nicht allein die gesellschaftlichen Verhältnisse, die uns auf den Weg der Tugend führen.

Gibt es nicht über die Gesetze hinaus ein inneres Band zwischen allen Menschen?

Und gebietet uns nicht schon allein unsere Selbstachtung, unseren Mitmenschen gegenüber
aufgeschlossen und mitfühlend zu sein?

Ich möchte dies hier nicht als neues Dogma einführen, wenn auch die Meistertugend der Barmherzigkeit in der Freimaurerei kaum eine geringere Bedeutung besitzt als in der jüngsten Enzyklika des mir sehr sympathischen Papstes Franziskus. Die Frage allein führt uns aber zu der metaphysischen, also über die Physik hinausgehenden Fragestellung, ob wir wirklich nur aus den abgeschlossenen Wirbeln einer sich in den Atomen verselbständigt habenden Kraft bestehen, oder ob nicht durch diese in uns fortwirkende Kraft sich im tiefsten Inneren eines jeden von uns ein Zusammenhang befindet, der uns alle zusarnmenbindet. Und hinzu kommt noch, dass wir in dem raumzeitlichen Kontinuum des Universums einen genau definierten, einmaligen Platz besitzen, der uns auch äußerlich zwar als unver-wechselbares Individuum definiert, aber auch als vergesellschaftete Wesen zusammenbindet.

Wenn dies alles so materiell unabweislich ist, lohnt es sich dann nicht, zumindest über den warmherzigen Teil jener Prophezeiungen eingehender nachzudenken, den uns die Religionen zur Verfügung stellen?

Leiten nicht erst die Religionen unsere Suche nach der sinngestaltenden Verwendung unseres eigenen materiellen und immateriellen Vermögens, geben nicht diese Religionen unserem materiellen und immateriellen Vermögen ein über den Augenblick hinausreichendes Ziel?

Wir wissen, dass wir Geschöpfe einer kosmischen Ordnung sind. Ob wir uns hinter dieser Ordnung einen fortlaufenden „Strippenzieher“ vorstellen oder sogar eine Familie von „Strippenziehern“, die aber gerade in ihrem Zusammenspiel den gesamten Kosmos abbilden, das ist nur unserer unvollkommenen, bildhaften Vorstellungskraft geschuldet. Die Weltreligionen raten uns übereinstimmend davon ab, uns überhaupt ein Bildnis dieses
metaphysischen Zusammenhangs zu machen. Wir Freimaurer verwenden für den Schöpfer die eingangs vorgestellte Metapher des Großen Baumeisters aller Welten. Durch die uns umgebende Natur, die sich nach von uns nicht geschaffenen Gesetzen bewegt, erhalten
wir das Material für unsere eigenen Lebensgrundlagen sowie die Errichtung unserer eigenen Ordnungen und Bauwerke – einschließlich des Tempels der Humanität, den wir als Freimaurermeister zu errichten versuchen. In diesem uns vorgegebenen Material entdecken wir die objektiven Möglichkeiten, die uns an die Hand gegebene Welt nach unseren Wünschen einzurichten, sie vom Ort unserer Existenz zum Ort unserer Heimat zu machen.

Das Meiste ist uns dabei vorgegeben. Nicht einmal unsere eigene Gestalt haben wir selbst hervorgebracht.
Das betrifft nicht etwa nur unsere äußere Gestalt. Auch unsere als typischster Fall einer Eigenproduktion erscheinenden Ideen sind keineswegs so individuell oder gar zufällig, dass sie wirklich als voraussetzungslose Selbsterzeugung angesehen werden könnten oder als
innere Kreationen eines von außen nur angestoßenen inneren Prozesses. Vielmehr verlaufen auch die inneren Bedingungen unserer Ideenproduktion auf vorgegebenen Bahnen, die denselben kosmischen Gesetzen gehorchen wie die äußeren Zusammenhänge. Selbst das
Genie ist nicht nur ein Fall der Kombinatorik besonderer äußerer und innerer Faktoren, sondern die Ausprägung eines inneren Gehalts kosmisch verliehener Gestaltungskraft. Dieser innere Gehalt wird in unseren freimaurerischen Metaphern als der Weg vom äußeren zum inneren Licht ausgedrückt. Hier findet sich der Ausgangspunkt, das scheinende Licht der unendlichen Kraft, im Ergebnis wieder, dem empfangenden, angeleuchteten Licht unserer eigenen inneren Kraft. So treffen sich der Schöpfer und seine Schöpfung.
In unserer Bereitschaft, das Licht der unendlichen Kraft aufzunehmen und es als die Wesensgleichheit mit dem eigenen inneren Licht anzunehmen, erkennen wir uns als nach SEINEM Bilde geschaffen. Gleichwohl erscheint es uns Geschöpfen, als hatten wir unseren Ausgangspunkt selbst hervorgebracht, nur weil wir ihn in uns wieder gefunden haben. Und doch bleibt am Ende die Möglichkeit der Selbstverwirklichung als Teilhabe am Gesamtprozess.

Wir können uns einbringen in den Prozess unseres täglichen Lebens.

Wir können uns einbringen in den Prozess der Geschichte.

Wir können uns einbringen in den Prozess der kosmischen Gestaltung. Denn jedes Moment, welches wir in uns verändern, wirkt unmittelbar in allen kosmischen Verhältnissen, in die wir materiell wie immateriell eingebunden sind.

So finden wir uns wieder als Momente eines Lebensprozesses. Wir sind eingebunden in eine höhere Ordnung, deren Schein uns nicht nut in unseren nach außen gerichteten Sinnen, sondern auch mit den in unser Inneres gerichteten Gefühlen erreicht. Diese Gefühle führen uns aufdie Suche nach unserem Inneren Licht.

Auf der Suche nach diesem inneren Licht können uns die Religionen Wegweiser sein, Wegweiser in eine neue Welt, die vielleicht sogar über unseren sinnlichen Tod hinaus-
reicht.

Lassen Sie uns auf der Suche nach diesem inneren Licht den Hinweisen aller Religionen nachgehen, ohne uns durch ihre Dogmen von der weiteren Suche abhalten zu lassen.

Dann wird uns trotz aller Religiosität – vielleicht sogar wegen einer so gefundenen freien Religiosität – der Bannstrahl einer selbst verschuldeten Unmündigkeit nicht treffen.
Dann haben wir die Dichotomie von Aufklärung und Religion überwunden.

Es geschehe also!

Von Bruder Hermann-F. Kramer

Nach oben –

 


 

Das freimaurerische Geheimnis

 

Von Bruder Peter W.

Was ist ein Geheimnis?
Wikipedia gibt zwei Anmerkungen dazu. Die erste lautet:

„Ein Geheimnis ist eine meist sensible Information, die einem oder mehreren Eigentümern zugeordnet ist. Es soll einer anderen Person bzw. Personengruppe, für die es von Interesse ist/sein könnte, nicht bekannt werden. Die entsprechende Information wird häufig absichtlich in einem kleinen Kreis Eingeweihter gehalten. Sie kann durch äußere Umstände auch vollkommen verlorengehen. Als Gegenbegriffe gelten Öffentlichkeit, Transparenz und Informationsfreiheit.“

Erst mit der zweiten nähern wir uns dem Thema meiner Arbeit, da die Freimaurerei auch als Mysterienbund beschrieben wird. Sie lautet:

„Im Kontext eines Mysteriums bezeichnet „Geheimnis“ ein Ereignis, das rational nicht erklärbar scheint oder einen Vorgang, dessen Hintergründe aufgrund des Wirkens bestimmter „eingeweihter“ Personengruppen (z. B. Priester, Schamanen, Magier, Sagenfiguren) für den gewöhnlichen Betrachter erwartungsgemäß und absichtsvoller Weise unklar bleiben.“

Nachdem wir uns mit zwei Definitionen zum Begriff Geheimnis bekannt gemacht haben, nähern wir uns dem Bereich:

Die Freimaurerei und der Begriff Geheimnis

Die Freimaurerei und der Begriff „Geheimnis“ werden seit der Gründung der ersten Logen, sowohl von den Maurern, als auch von den Nicht-Maurern in einen Bedeutungszusammenhang gebracht. Unterzieht man den Begriff Geheimnis – in diesem Kontext – einer näheren Betrachtung, so stellt sich für mich heraus, daß es verschiedene Bedeutungszusammenhänge gibt, in denen sowohl Profane, als auch Freimaurer den Begriff benutzen. Diese Zusammenhänge möchte ich im folgenden beschreiben.

Ich erkenne eine Dreiteilung, nämlich die Bereiche:

Erstens das von der profanen Offentlichkeit der Freimaurerei unterstellte „wahre Geheimnis“,
zweitens „Die Geheimnisse die unter die Arkandisziplin fallen, kurz „Arkan-Geheimnisse“ und
drittens „Das freimaurerische Geheimnis aus der persönlichen Erfahrung heraus“.

1. „Das unterstellte wahre Geheimnis“

Darunter verstehe ich einmal die von Profanen der Freimaurerei gegenüber gemachte Unterstellung, sie besitze ein spezielles Geheimnis im Sinne eines Wissens, das als Ergebnis einer Geheimwissenschaft gewonnen wurde. Etwas das – in welcher Form auch immer – Unsterblichkeit ermöglichte, etwa z.B. ein „Lebenselixier“.
Ohne dies näher überprüft zu haben, möchte ich annehmen, daß diese Unterstellung auf die vor allem in ihrer Gründungsphase vorhandene Nähe der Freimaurerei zu den Rosenkreuzern und damit auch zur Alchemie zurückzuführen ist.
Dieses Vorurteil könnte seinen Ursprung im menschlichen Wunsch haben, es möge etwas Unaussprechliches geben, von dem dennoch ein Wissen möglich sei.
Zum zweiten ist hier die Unterstellung zu nennen, die Freimaurerei besitze als quasi internes, „wahres“ Logengeheimnis, den Willen zur Eroberung und Unterwerfung der Welt, um sie zu beherrschen.

Ursprung dieser falschen Annahme ist die Vorstellung, die Freimaurerei sei ein weltumspannender, politisch gerichteter, einen Umsturz planender Geheimbund.
Eine „Blüte“ dieser Vorstellung ist die „Interpretation“ des Vorhandenseins des Symbols des allsehenden Auges auf der amerikanischen Ein- Dollarnote:

„Auf der Rückseite der Ein-Dollarnote im amerikanischen Staatssiegel das allsehende Auge!
Ein Freimaurerzeichen!
Das zeigt: Freimaurer regieren den Dollar und damit die Welt!“

Bekanntlich hat die Gestapo das Logenhaus der Großen Loge von Hamburg (Welckerstrasse 8) 1935 Stein für Stein abgetragen:
Beweise für das „Freimaurerische Geheimnis“ oder Dokumente, die Landesverrat belegen sollten, wurden nicht gefunden.
Den Ursprung dieser Unterstellung einer angestrebten Weltherrschaft genauer zu untersuchen, würde den Rahmen dieser Zeichnung sprengen. Deshalb gehe ich nicht weiter darauf ein, hier nur ein Hinweis auf die Entstehung derartiger Unterstellungen:

„Allen Gegnern der Freimaurerei aber ist gemeinsam, daß sie sich hinsichtlich des freimaurerischen Geheimnisses nicht auf Beweise, sondern nur auf Vermutungen stützen. Und gerade der Mangel an Beweisen für ein Geheimnis gilt als Beweis dafür, daß die Freimaurerei voller Geheimnisse und daher besonders gefährlich für jede Gemeinschaft ist.“
(Klaus Borchers: Mit Bibel, Winkelmaß und Zirkel, S/L)

Und eine Vermutung – zur Erklärung – möchte ich äußern:

Lange Zeit haben sich die Logen in der allgemeinen Offentlichkeit nicht dargestellt. Sie haben es versäumt, sich mit den Vorurteilen ihnen gegenüber auseinanderzusetzen und gegen sie eindeutig und klar Position zu beziehen. Dieser Umstand in Kombination mit dem auch heute noch vorkommenden Kokettieren von Brüdern mit dem Nimbus des Geheimnisvollen bildet die Basis für jedwede Art von Vorurteilen unserer gemeinsamen Sache gegenüber.

Auf Freimaurerwiki steht unter dem Thema wahres Geheimnis folgendes:

„Die Flucht vor den Wirklichkeiten des Lebens treibt einzelne Freimaurer, und nicht nur diese, in ein Wunschland weltabgewandter Spekulationen. Es gibt ein Geheimnis der Freimaurerei, eingeschlossen im Erlebnis der Weihe und in den Erkennungszeichen. Das „wahre Geheimnis“ aber, ist das Produkt eines geistigen Hochmuts, dem in Bezug auf die Freimaurerei jeder innere Wert und jede Berechtigung abzusprechen ist“.

Ich stimme dieser Aussage zu.

 

2. Die „Arkan-Geheiminsse“

Das Arkanprinzip (von lateinisch arcanum – „Geheimnis“) ist der Grundsatz, Kultbräuche und Rituale nur einem Kreis von Eingeweihten zugänglich zu machen.
In der Anfangszeit der Maurerei – Beginn des 18. Jahrhunderts – bedeutete das offene Bekenntnis zur Freimaurerei für den Betreffenden oft die Folge von Repressalien bis zur Bedrohung seines Lebens.
Von daher war es für die damaligen Angehörigen von Logen wichtig, über ihre Zugehörigkeit und die von ihren Brüdern Verschwiegenheit zu vereinbaren. Diese Vereinbarung bezog und bezieht sich auch heute noch auf z.B. die Erkennungszeichen und das Gebrauchtum der Freimaurerei, unter letzterem sind die Bedeutung der Symbole und der Handlungen, insbesondere innerhalb der Rituale zu verstehen.

Es gilt heutzutage (immer noch) folgendes:

Der Senat der Vereinigten Großlogen von Deutschland hat auf seiner Sitzung am 12 März 1988 folgenden Beschluss gefasst:
Die nachfolgend aufgeführten Grundsätze werden erneut bekräftigt und zum für alle Mitgliedsgroßlogen verbindlichen freimaurerischen Recht erklärt:

  1. Foto- und Filmaufnahmen im Tempel von freimaurerischen Arbeiten in Anwesenheit der     versammelten Bruderschaft sind nicht zugelassen
  2. Tempelbesichtigungen und -fotos sind erlaubt. Allerdings darf der Tempel nur als Versammlungsraum, nicht als freimaurerische Einrichtung gezeigt werden
  3. Die Drei Großen Lichter (Bibel, Winkelmaß, Zirkel) dürfen in ritueller Anordnung nicht auf dem Altar liegen
  4. Der Teppich (Arbeitstafel) darf nicht im Tempel aufliegen
  5. Die rituellen Werkzeuge aller Grade sind aus dem Tempel zu entfernen

Für Film-, Foto- und Tonaufnahmen, die ausschließlich zur internen Dokumentation bestimmt sind, bedarf es der vorherigen Genehmigung des Großmeisters der betreffenden Mitgliedsgroßloge. Dieses Material darf nicht in profane Hände weitergegeben werden. Verstöße sind ehrengerichtlich zu ahnden.
Ein Verstoß gegen diese Vorschriften durch Logen und/oder in ihnen arbeitende Brüder Freimaurer kann den Entzug des von den Vereinigten Großlogen von Deutschland der Loge erteilten Patentes nach sich ziehen.
Die Mitgliedsgroßlogen verpflichten sich, diese Vorschriften unter dem Titel „Schutz des Arkanums“ als Anlage des verbindlichen Rechtes in ihre Großlogenordnungen aufzunehmen.
Im übrigen bekennt sich der Senat unverändert zu den Grundsätzen einer offenen, zeitgemäßen und sachkundigen Offentlichkeitsarbeit und fordert die Logen auf, sich vor geplanten Veröffentlichungen an das Amt für Öffentlichkeitsarbeit zu wenden und dessen Rat einzuholen.

Die Einhaltung dieser aufgeführten Vorgaben wurde schon 1988 von W. K. in einem Artikel in der Humanität (1988, Heft 6) in Frage gestellt.
Heutzutage, in Zeiten des Internets, findet man nach einigen Klicks, all das, was eigentlich nicht für profane Augen und Ohren gedacht ist.
Wer ein paar Mal nach masonischen Begrifflichkeiten im Internet sucht oder in FM-Foren Beiträge schreibt oder kommentiert, wird von Google&Co als Freimaurer „geführt“. So beschreibt es E. R. in seinem Artikel in „Eleusis“ Heftl/2015. Wer das tut, muß sich darüber im klaren sein, das er seine Deckung damit selbst, wenn nicht vollständig, so doch zu großem Teil als „User“ aufgibt.
Angesichts der technischen Entwicklung und der mit ihnen verbundenen Möglichkeiten zur Rückverfolgung von Internetaktivitäten hin zum Anwender müßte meiner Meinung nach die Arkandisziplin neu formuliert werden.
Dies gilt sowohl für das, was erlaubt ist, als auch für die Sanktionen bei Zuwiderhandlungen.
Die Bestimmungen aus dem jahre 1988 sind absolut nicht mehr zeitgemäß.
Ich spreche mich allerdings unbedingt für eine Arkandisziplin aus – egal wie sie im Einzelnen formuliert sein mag.
Im Gegensatz zu Prof. Dr. Papenheim – der sich in seinem Vortrag, gehalten auf dem Neujahrsempfang der Großen Loge Royal York zur Freundschaft 2017, dafür ausspricht – bin ich nicht für eine offizielle Veröffentlichung von Ritualtexten durch FM-Institutionen.
Es macht keinen Sinn, nur Texte zu veröffentlichen, wenn, dann müßten sie kommentiert erscheinen, sonst wäre auch ein oberflächliches Verstehen nicht möglich. In meinen Augen wäre dies dann allerdings ein zu großes „Öffnen“ gegenüber der profanen Offentlichkeit.

Doch zurück zur Arkandisziplin:
Zusätzlich gehört für mich, zu der oben beschriebenen Vereinbarung über Verschwiegenheit, auch das, was unter Brüdern gesprochen wurde – also dem jeweiligen Bruder Anvertraute, persönliche Angelegenheiten etc. – und die Offenlegung der Zugehörigkeit von Brüdern zum Bund gegenüber Profanen.
Verschwiegenheit ist für Freimaurer eine Tugend, die es für jedes neue Mitglied der Gemeinschaft zu erlernen gilt.
Von Nicht-Maurern wird diese Tugend oft mit dem Begriff „Geheimnis“ in Verbindung gebracht. Durch dieses Missverständnis sind viele Vorurteile über die Freimaurerei entstanden.

An dieser Stelle möchte ich kurz das bisherige zusammenfassen:

Wie ich dargelegt habe, gibt es „Geheimnisse“, die Profane der Bruderschaft der Freimaurer unterstellen.
Dies sind allerdings keine Geheimnisse, sondern wie beschrieben, Vorurteile.
Die Freimaurer selbst haben sich Regeln über die Verschwiegenheit zu bestimmten Bereichen gegeben und unter dem Begriff Arkandisziplin für alle Brüder verbindlich veröffentlicht. Diese Bestimmungen bedürfen einer Anpassung an das heutige Nutzungsverhalten von Medien.

3 .„Das freimaurerische Geheimnis aus persönlicher Sicht“

Alle Freimaurerlogen in Deutschland sind eingetragene Vereine, deren Satzungen veröffentlicht sind. Im Zeitalter des Internets gelangen auch Dinge, die nicht für die allgemeine Offentlichkeit bestimmt sind – soweit sie sich in Wort und Schrift fassen lassen – dorthin, wo sie von vielen gelesen werden können.
Dennoch gibt es in der Freimaurerei immer noch etwas zu entdecken und zwar etwas, das nicht in Worte oder Bilder gefaßt werden kann.
Viele Maurer sehen in dem, was sie während der Treffen empfinden, bei denen sie Teil eines Rituals sind, den Teil der Maurerei, der sich nicht in Worte fassen läßt. Für manche ist er die wesentliche Motivation für ihr Bekenntnis zu den Werten Humanität, Toleranz, Gleichheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit.

Im internationalen Freimaurerlexikon steht dazu:

„Als Bund hat der Freimaurerbund keinerlei Geheimnis, das sich auf die Welt und deren Gestaltung beziehen könnte, insbesondere aber kein politisches Geheimnis. Das, was der Freimaurer als Geheimnis bezeichnet, hat nichts mit Geheimniskrämerei zu tun, bezieht sich nicht auf Religion, Politik, soziale Probleme, Moral usw., es liegt in seinem Wesen als Mysterien-Männerbund. Es ist das Geheimnis des persönlichen Erlebens einer Kulthandlung, Dieses Geheimnis bezieht sich somit auf das Gebrauchtum.“

Das freimaurerische Geheimnis ist das, was der einzelne Bruder bzw. die im Tempel versammelten Brüder während des Rituals, als ein besonderes, subjektives Erlebnis erfahren. Hans Ulrich Helfer spricht von einem seelischen Einswerden mit Brüdern in aller Welt. Es wird auch als ein esoterisches Erlebnis, das mit großer Intensität erfahren werden kann, beschrieben.

Reinhold Dosch beschreibt es so:

„Der Freimaurer versteht unter dem „Geheimnis“ die persönliche innere Erfahrung, die er während einer Tempelarbeit subjektiv erlebt. Dieses Erlebnis einer gemeinsamen weihevollen Handlung, dieses innere Angerührtwerden, kann man nicht in Worte bringen. Dieses „Geheimnis“ ist nicht aussprechbar und kann darum auch nie verraten“ werden. Eine Voraussetzung muß allerdings gegeben sein: Der Freimaurer muß empfänglich für intuitive Eindrücke sein und muß bereit sein, sein Inneres zu öffnen.“
Naturgemäß läßt sich dieses Erlebnis nur in beschreibende Worte fassen. Es läßt sich somit auch nicht verraten, da es eben nur beschrieben werden kann. Ein Gefühl kann nicht weitergegeben werden, es kann nur bestenfalls nachempfunden werden.
Voraussetzung für die Entstehung dieses Erlebnisses ist die Schaffung einer besonderen Atmosphäre, Umgebung, Stimmung im Tempel.
Die dafür empfänglichen und auch dazu bereiten Brüder können dann eine besondere Verbundenheit untereinander empfinden.
Die Schaffung einer besonderen Atmosphäre im Tempel kann dann auch bewirken, das die verwendeten Symbole nicht über den Intellekt bewußt wahrgenommen werden, sondern auf der Gefühlsebene erfahrbar gemacht und ihr Symbolgehalt „verstanden“ wird.

In seiner sog. „Vorerinnerung“ zu den Ritualen der Großen Loge Royal York zur Freundschaft vom 5. Dezember 1800 gibt auch I. Feßler einen Hinweis auf diese Art des Verstehens:

„Weil aber der Freimaurer nicht nur Verstand, sondern auch Herz und Gefühl hat, so muß auch etwas da sein, welches dasjenige, was der rührige, kalte Verstand erkannt hat, dem Herzen und den Gefühlen näher liegt.
Hieraus ergibt sich: Das Kriterium für alle möglichen maurerischen Rituale. Sie sollen nicht Mittel sein, die Neugierde der Brüder zu unterhalten und zu spannen; nicht feierliche Versprechungen einst mitzuteilender wichtiger Geheimnisse; sondern anständige, auf die edlen Gefühle des Menschen berechnete Zeremonien und Formeln, durch welche der vom Verstande erkannte Endzweck dem Herzen der Brüder nahergelangen und dasselbe für ihn erwärmet und begeistert wird.“

Prof. Dr. Hans-Hermann Höhmann schreibt dazu in einem im QC Jahrbuch Nr. 50/2013 erschienenen Beitrag:

„Das Ritual ist nicht Ursprung von Erkenntnis, sondern eine spirituelle Praxis, mittels derer der kognitiv bestimmte Zweck des Bundes im Habitus des Freimaurers verankert und zur
Quelle von ethischer Motivation und zwischenmenschlicher Warme wird. “

Noch anders und stark vereinfachend ausgedrückt:

Das, was ein Bruder individuell wahrend eines Rituals erlebt, kann sein Unterbewußtsein beeinflussen. Wobei dabei hier nicht wissenschaftlich erklärt, vereinfacht, alles was nicht Bewußtsein ist, als Unterbewußtsein verstanden wird.
Ohne ein Experte für Psychologie zu sein kann ich hier eine allgemein anerkannte Erfahrung einbringen:
Unser Unterbewußtsein bestimmt unsere Handlungen und unsere Handlungen bestimmen unsere Umwelt.
Von daher kann man sagen, das das freimaurerische Geheimnis mit unserem Unterbewußtsein zu tun hat.
Immer unter der Prämisse, das der Bruder bzw. die Brüder bereit und empfänglich dafür sind, intuitive Eindrücke zu zulassen, ihr Inneres zu öffnen.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist es möglich, daß ein Bruder durch sein Erlebnis im Tempel beeinflußt, ein Verhalten außerhalb desselben zeigt, das ohne dieses Erlebnisses – um es neutral zu formulieren – anders wäre.
Der Meister sagt am Ende des Rituals, nach dem Kettenlied:
„Geht nun zurück in die Welt, meine Brüder, und bewährt Euch als Freimaurer…“ Ich denke, dies ist umso „besser“ möglich, je „intensiver“ das Ritualerlebnis war.

Bei meinen Recherchen zum Thema „Freimaurerisches Geheimnis“ habe ich Brüder und Schwestern befragt.
Dabei stellte sich heraus, das eine Beschreibung des Erlebnisses (wie schon weiter oben erwähnt) nur schwer möglich ist.

„Es ist ein Gefühl, Teil eines großen Ganzen zu sein“,
„Es ist eine Grenzerfahrung“.
Aus diesen Beschreibungen schließe ich, daß die Freimaurerei dieses Geheimnis nicht allein besitzt, denn ähnliche Beschreibungen von „Grenzerfahrungen“ gibt es auch in anderen Bereichen (z.B. Meditation, Religion etc.). Und das Erzeugen dieses Erlebnisses ist nicht planbar, es geschieht einfach.
Die Frage, ob dieses Erlebnis ein Gruppenerlebnis ist, oder „nur“ im Kopf des/der Einzelnen geschieht möchte ich hier nur stellen, aber nicht näher darauf eingehen.

Zusammenfassend: Für mich bilden eine empfundene, besondere Verbindung zwischen den Brüdern und das „Verstehen“ der Symbolik, das Phänomen des freimaurerischen Geheimnisses.

Was kann eine solche Erfahrung bewirken?

Für den einzelnen Bruder, der sie erlebt hat, kann sie eine Festigung seiner maurerischen Persönlichkeit bewirken und eine festere innere Bindung an seine Brüder auslösen.
Für eine Loge, die aus solcherart „ausgestatteten“ Brüdern besteht, bedeutet dies die Existenz eines festen Fundaments, einer Grundlage, die wesentlich alle Aktivitäten und Kommunikationen innerhalb der Bruderschaft bestimmt.
Dies ist die Idealvorstellung.
In der Praxis tauchen eine Vielzahl von Faktoren auf, die die Schaffung einer besonderen Atmosphäre im Tempel erschweren.

Technische Mängel im Tempel

Klimaanlage defekt, Lichtanlage/Tonanlage
funktioniert nicht, Stühle sind zu eng gestellt,
Säulen stehen schiefoder sind beschädigt,
Teppich rollt sich auf

Zu den Ritual-Texten
Falsche/ unterschiedliche Fassungen Texte,
Fehlende Textpassagen, zerknitterte Textvorlagen

Menschliche Faktoren
Hektik (fehlende Einstimmung) bei der Vorbereitung,
Zuspätkommen der Beamten,
Mangelnde innere Beteiligung der Beamten (Geistige
Abwesenheit, „Herunter Rattern“ der Texte),
Antipathie zwischen Brüdern,
ungeklärte Konflikte in der Bruderschaft
Zu lange Textpassagen/ bzw. Zeichnungen
Extreme, polarisierende Musikauswahl

Auf zwei Fragen möchte ich abschließend noch eingehen:

Was ist eine Loge ohne Brüder mit diesem Erlebnis?
Was ist eine Freimaurerei bzw. das Leben in einer Loge ohne dieses oben beschriebene Geheimnis?

Dazu möchte ich ein Zitat von Ferdinand Runkel in leicht abgewandelter Form nennen:

„Freimaurerei ohne Geheimnis ist wie Wintersonne, die zwar leuchtet, aber nicht wärmt.“

Eine Loge, die nicht über das beschriebene verbindende Fundament verfügt, kann auch durch andere meiner Ansicht nach, aber nicht gleichwertige – Grundlagen zusammengehalten werden, die außerhalb des Tempels „stattfinden“, z.B. durch Geselligkeit.
Eine Basis könnten auch religiöse Momente bilden, zu dieser Möglichkeit möchte ich mich aber nicht äußern, da ich sie nicht nachvollziehen kann.

Zum Abschluß meiner Zeichnung möchte ich noch einen – allerdings nicht ganz ernst gemeinten – Hinweis (s. Alpina 10-2016, Rubrik: Books) zum Thema Geheimnis und Freimaurerei geben:

Friedrich Ludwig Schröder (1744-1816) bekannt für das seinen Namen tragende Ritual war zu seiner Zeit ein bedeutender Schauspieler und auch Autor eines Lustspiels mit dem Titel: „Die Freimaurer“.
Die Geschichte ist weniger für den Intellekt als für den Boulevard gedacht. Es geht darum, das freimaurerische Geheimnis in Erfahrung zu bringen. Die Handlung ist für uns jetzt irrelevant, das Geheimnis wird am Ende des Stückes vom Diener Frank der Haushaltshilfe offenbart:

„Der wichtigste Teil unseres Geheimnisses besteht darin, das wir Freimaurer (. . .) versprochen haben, zu schweigen (…) und das wir, wenn wir unser Geheimnis nicht anders retten können davon laufen müssen. “
Katharina – die Haushaltshilfe – sagt ihm, er dürfe bleiben, denn die Frauen „schätzen“ die Verschwiegenheit eines Mannes ganz ausserordentlich.“

Ehrwürdiger Meister, ich habe meine Zeichnung beendet.

Nach oben –